Herzlichen Dank!
Wie deutsche Medien mehr Vielfalt schaffen. Als wir Anfang 2021 unseren ersten „Diversity Guide” mit diesem Titel vorstellten, ahnten wir nicht, wie viele Medien tatsächlich bereit sind, sich damit auseinanderzusetzen. Zeitungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz berichteten über das Handbuch. Unzählige Redaktionen schrieben uns an und baten um ein Exemplar. Mit gut achtzig Chefredaktionen und Entscheider*innen konnten wir persönlich besprechen, wie die Sache mit der Vielfalt funktioniert und das Interesse reißt bis heute nicht ab.
Dafür erst einmal herzlichen Dank! Nun das Aber: Das Versprechen, das wir Ihnen mit dem ersten Handbuch gaben, haben wir bestenfalls zum Teil eingelöst. Der Grund, warum wir Sie für diese neue Fassung nun ein zweites Mal um ihre Aufmerksamkeit bitten: Mit der fairen Repräsentation von Journalist*innen of Color oder mit Einwanderungsgeschichte ist es noch nicht getan. Die meisten Medienhäuser sind nicht nur mit Kolleg*innen besetzt, die überdurchschnittlich weiß und ohne Rassismus- oder Armutserfahrung sind, sie sind auch auffallend oft heterosexuell, cisgeschlechtlich und haben keine Behinderung. Und ja, auch im Jahr 2021 sind die meisten Führungspositionen in den Medien immer noch mit Männern besetzt.
Vielfalt für alle
Echte Vielfalt bedeutet, dass niemand mehr ausgeschlossen wird. Der Weg dorthin funktioniert nur, wenn wir viele gesellschaftlich marginalisierte Gruppen in den Blick nehmen und einbeziehen. Das haben wir schon am Ende unseres ersten “Diversity Guides” deutlich gemacht. In dieser digitalen Neuauflage setzen wir unsere Ankündigung in die Tat um.
Wir behandeln viele zentrale Dimensionen von Diversität und freuen uns über die fachkundige Unterstützung: Als Expert*innen in Sachen Geschlechtergerechtigkeit schreiben die MaLisa Stiftung und Pro Quote Medien mit. Die Expertise zu queeren Menschen stammt vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) und der Queer Media Society. Und für die Anliegen von Journalist*innen mit Behinderung ist Leidmedien mit an Bord. Denn eins ist klar: Diskriminierung kommt selten im Singular. Schwarze lesbische Frauen stoßen auf ganz eigene Probleme, trans* Menschen mit Behinderung oder schwule Muslime ebenso. Deshalb ist dieser Guide ein Gemeinschaftswerk gleichberechtigter Partner*innen.
Jetzt mit noch mehr Expert*innen-Stimmen
Wie schon in der letzten Fassung haben wir außerdem weitere Fachleute um ihre Expertise zu wichtigen Fragen über Zugangsgerechtigkeit und vielfältige Medieninhalte gebeten: Was muss sich ändern, damit es endlich mehr Menschen aus armen Familien in die Redaktionen schaffen? Welche Folgen hat es, dass auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung der deutsche Zeitungsmarkt weitgehend in der Hand von Westdeutschen ist?
Wenn alte weiße Männer die Chefredaktionen beherrschen, wie steht es um die Chancen von älteren weißen Frauen im Journalismus oder von jungen Frauen mit Kinderwunsch in den Redaktionen? Wieviel Sexismus und Machtmissbrauch herrscht im Journalismus?
Und Empfehlungen zum Gendern im Journalismus finden Leser*innen, Leser_innen und Lesende nun auch.
Diversity im Film und Kino
Es gibt bald noch mehr Neues: Neben journalistischen Medien wollen wir uns demnächst auch mit fiktionalen Medienformaten befassen. Schließlich hört das Problem von Diskriminierung und fehlender Repräsentation nach der Nachrichtensendung nicht plötzlich auf, es existiert in der Krimiserie weiter...
In einem neuen vierten Kapitel finden Sie in einigen Monaten viele Infos und Tipps für die Medienarbeit im fiktionalen Bereich: Vom Umgang mit Archivfilmen (Stichwort: N*könig in Pippi Langstrumpf) und Klischeefallen in der Stoffentwicklung über sexuelle Übergriffe am Set bis zum ungleichen Zugang zu Filmfestivals und Filmförderung. Wenn sich Probleme und Lösungen in journalistischen und fiktionalen Medien auffällig ähneln, dann verweisen wir hier im Guide darauf.
Es ist spät. Aber noch nicht zu spät.
Eins können wir Ihnen mit diesem Guide hingegen nicht wiedergeben: Die Zeit, die Sie bisher nicht genutzt haben, um Ihren Medienbetrieb an die gesellschaftliche Realität anzupassen.
Schon heute haben bundesweit rund 40 Prozent der Jugendlichen einen Migrationshintergrund. In manchen Städten ist die vermeintlich weiß-deutsche Mehrheitsbevölkerung längst in der Minderheit. In sozialen Medien fordern LSBTIQ* selbstbewusst ihren Platz ein und Menschen mit Behinderung machen auf mediale Ungerechtigkeiten aufmerksam, die früher unentdeckt blieben. Und wer glaubt, Frauen heute noch von Podien, Sendeplätzen oder Führungsverantwortung ausschließen zu können, macht sich besser schon mal für den nächsten Shitstorm bereit.
Gute Medienarbeit lohnt sich
Vielfalt ist viel mehr als eine Frage des Images und geht weit über die Repräsentation von Minderheiten hinaus. Mehr Diversität bedeutet, neue Talente zu finden, auf mehr Kompetenzen zurückgreifen zu können, ein besseres Betriebsklima zu schaffen und vor allem neue Zielgruppen zu gewinnen.
Was Vielfalt noch bringt: Neue Themen, Perspektiven und Geschichten statt der ewig gleichen Klischees. Das haben zum Glück auch schon viele Medienschaffende erkannt. Könnt ihr uns eine Expertin mit Behinderung vermitteln? Sagt man jetzt „farbig” oder “Schwarz” (letzteres)? Wie können wir mit unseren Stellenausschreibungen Nachwuchs aus der LSBTIQ*-Community ansprechen? Schreibt man heute besser mit Sternchen oder Doppelpunkt? Solche und ähnliche Fragen erreichen uns tagtäglich. In Workshops, bei Vorträgen, auf Social Media und per Mail. Dieser Guide ist die Antwort darauf.
Dabei können Sie sich auch in dieser neuen Online-Fassung auf unsere Stärken verlassen: Wir bieten wissenschaftlich fundierte Inhalte, aufbereitet für die Praxis von Kolleg*innen für Kolleg*innen.
Wir wissen, wie Medienarbeit für eine plurale Gesellschaft funktioniert, welche Maßnahmen wirken und wie sich Hürden überwinden lassen. Wir kennen die Herausforderungen, die Medienhäuser meistern müssen, ebenso wie den redaktionellen Alltag. Wir wissen auch, dass die Forderung nach mehr Vielfalt zunächst vor allem als zusätzliche Belastung erscheint. Aber wir versprechen Ihnen: Es lohnt sich.
Jetzt sind Sie dran
Viele Chefredakteur*innen sagen, dass sie längst bereit sind, mehr Diversität zu schaffen. Als die Neuen deutschen Medienmacher*innen 2020 die Chefredakteur*innen der 126 reichweitenstärksten journalistischen Medien in Deutschland befragten, war das Ergebnis eindeutig. Die überwiegende Mehrheit der Entscheider*innen, die uns geantwortet haben, wünscht sich divers besetzte Redaktionen. Nun geht es darum, diesem Wunsch nach Vielfalt Konsequenzen folgen zu lassen.
Zeitgemäßer, diversitätsorientierter Journalismus ist keine Geheimwissenschaft. Und Medienarbeit, die unsere vielfältige Gesellschaft auch in Filmen und anderen fiktionalen Formaten zeigt, ist machbar.
Davon profitieren alle:
- Nachwuchsjournalist*innen und andere Medienschaffende, die bisher zu selten die Chance bekommen, in der Branche Fuß zu fassen
- Medien, für die sich neue Themen, Geschichten und Stoffe eröffnen und die neue Zielgruppen dazugewinnen
- Unsere plurale Gesellschaft, die heute mehr denn je auf Medien angewiesen ist, die sich an alle richten und die für alle arbeiten. Medien, die Missstände offenlegen – statt sie zu reproduzieren.
Damit das gelingt, brauchen Sie eigentlich nur, was gute Medienschaffende ohnehin ausmacht: Interesse, ein Gespür für die Entwicklungen unserer Zeit und die Bereitschaft, dazuzulernen.