Bilder wirken unmittelbar, sie sind universell verständlich und sie begegnen uns überall, Tag für Tag. Mit der Art und Weise wie sie Menschen, Situationen und Dinge darstellen, schaffen Bilder Wirklichkeit. Unsere Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität hängt stark von den Fotos und Videos ab, die wir täglich zu sehen bekommen – besonders dann, wenn es um Menschen mit Diskriminierungserfahrungen geht.
Doch Fotos sind keine neutrale oder objektive Abbildung der Realität, vielmehr konstruieren sie diese. Sie spiegeln deutlich die Macht- und Herrschaftsverhältnisse unserer Gesellschaft wider.
Im Gegensatz zu geschriebenen Berichten – welche abhängig von der Komplexität der Gedanken, Bezügen und Wortwahl an eine größere oder kleinere Leserschaft gerichtet sind – hat ein Foto nur eine Sprache und ist potentiell für alle vorgesehen.
Susan Sontag, Essay Regarding the Pain of Others (2003)
Die Macht der Bilder
Sich der dem Einfluss von Bildern zu entziehen, ist so gut wie unmöglich. Sie helfen unserem Gehirn dabei, die Welt um uns herum einzuordnen. Wir glauben, was wir sehen. Gerade deshalb sind sexistische, queerfeindliche, behindertenfeindliche, rassistische und andere diskriminierende Stereotype in Bildern so mächtig – und so gefährlich.
Eine stereotype Bildsprache kann einen Text negieren – selbst, wenn er sich kritisch zu ebenjenen Stereotypen verhält. Das gilt umso mehr, da Menschen Artikel nur überfliegen und flüchtig lesen. Entsprechend groß ist die emotionale und meistens unbewusste Machtwirkung von Bildern.
Rassismus in Bildern
Diese Diskrepanz hat sich zuletzt häufig in Beiträgen zur COVID-19-Pandemie gezeigt. Viele Medien griffen und greifen immer noch auf stereotypisierende und klischeebeladene Bilder asiatisch gelesener Menschen zurück, um ihre Artikel zu bebildern. Nicht selten schaffen sie damit unsachliche und unpassende Text-Bild-Kombinationen, die ganz bestimmte Assoziationen wecken und antiasiatische Ressentiments schüren.
Der Verein korientation e.V. übt regelmäßig Kritik an antiasiatischem Rassismus in der Berichterstattung zu Corona und hat auf seiner Website anschauliche Negativbeispiele gesammelt.
Fotos sind Symbole, sind Klischees
In der Berichterstattung werden gesellschaftliche Minderheiten und strukturell benachteiligte Gruppen (visuell) oft auf bestimmte Klischees und Stereotype reduziert. Aber einiges hat sich in den letzten Jahren bei der Bebilderung im Journalismus aber durchaus gebessert. Wenn es um Integrationsthemen geht, sind die Fotos heute bunter und die Frauen oft jünger. Schwarz verschleierte Frauen von hinten mit drei Kleinkindern und sieben Aldi-Tüten in der Hand werden seltener.
Doch noch immer zeigen die meisten Bilder Frauen mit Kopftuch, obwohl mehr als zwei Drittel der deutschen Musliminnen gar keines tragen und nicht mal ein Viertel aller Menschen aus Einwandererfamilien überhaupt aus islamisch geprägten Ländern stammt.
Hier die Bertelsmann-Studie rein, siehe alter Guide, Tipps & Tools, Seite 64
Sexistische Stereotype
Aber auch bei Frauen, die keiner erkennbaren Minderheit angehören, sind stigmatisierende Darstellungen nach wie vor gang und gäbe.
Noch immer handelt 90 Prozent der Sportberichterstattung von Männern. Kommt doch einmal eine weibliche Athletin vor, geht es oft um ihr Aussehen. Das Privileg, allein nach Leistung und nicht nach Körperformen beurteilt zu werden, genießen nur männliche Sportler.
Sexistische Stereotype prägten auch die Corona-Berichterstattung: In Beiträgen zum Thema Home Office und Kinderbetreuung waren meist Frauen zu sehen: häufig ungepflegt und überfordert. Im Vergleich wurden in diesem Zusammenhang übrigens kaum Männer gezeigt, die frei von jeder Doppelbelastung nach der Arbeit auf dem Sofa ausspannen. Von einer Doppelbelastung gestresste alleinerziehende Väter bekam man kaum zu Gesicht.
Fotografen positionieren sich beim Weitsprung direkt vor der Grube, um auf gespreizte Beine beim Sprung zu warten und dann abzudrücken. Bei Männern machen sie das kaum.
Leichtathletin Rebekka Haase gegenüber Übermedien
Zeigen Sie die Realität
Das Thema Behinderung wird wiederum fast immer durch Bilder von Rollstühlen symbolisiert – selbst wenn diese mit der Realität der meisten behinderten Menschen nichts zu tun haben.
In der Bildsprache zu LSBTIQ*-Themen zeigen Symbolbilder entweder eine beliebige Christopher Street Day-Demo oder es sind Darstellungen von weißen homosexuellen Männern, gern von hinten, Hand in Hand.
Derartige Reduzierungen auf einzelne Klischees bedeuten auch, dass andere Merkmale wie etwa Alter, Expertise, Berufe oder Hobbys der dargestellten Menschen ausgeblendet werden. Gerade weil Bilder in der medialen Berichterstattung so eine fundamentale Rolle spielen, ist es wichtig, dass sie die Vielfalt in unserer Gesellschaft möglichst genau abbilden. Denn guter Journalismus zeigt Lebensrealitäten.
Noch vor zehn Jahren zeigte unser meistverkauftes Frauenbild eine halbnackte Dame auf einem Bett. Im Gegensatz dazu sind auf den heutigen Spitzenreiter-Bildern Frauen zu sehen, die Geschäftsmeetings leiten, in Technik und Wissenschaft tätig sind oder Sport machen. Natürlich haben wir noch einen sehr langen Weg vor uns. Aber wir haben es uns zum Ziel gesetzt, ein realistisches Menschenbild zu zeigen.
Rebecca Swift, Getty-Images, gegenüber der WirtschaftsWoche
Klischeefreie Symbolbilder sind möglich
Entsprechend sollten Menschen mit Diskriminierungserfahrungen nicht immer nur in Problemkontexten gezeigt werden – die viele von ihnen kaum betreffen – sondern auch in ganz alltäglichen, normalen Zusammenhängen und Situationen. Als Mutter mit Behinderung in einem Beitrag über Kindererziehung, als muslimische Fachfrau für Haute Cuisine im Kulturteil oder als homosexuelles Paar im Beitrag mit dem Rechenbeispiel für Steuererleichterungen.
Die meisten Bilder in den deutschen Medien sind hingegen meist durch die vermeintlichen Sehgewohnheiten der Rezipient*innen geprägt. In den seltensten Fällen werden die Dargestellten selbst gefragt, wie sie eigentlich abgebildet werden wollen. Fotodatenbanken beinhalten vorwiegend entsprechend eindimensionale Bilder und Bildredakteur*innen finden kaum Alternativen. Dabei sind andere Symbolbilder nötig und auch machbar.