Zu einem Arbeitsklima, in dem sich alle wohlfühlen

Menschen mit vielfältigen Lebenserfahrungen in den Journalismus zu holen, ist eine Sache. Ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das sicherstellt, dass sie auch bleiben, ist die andere. Als Organisationen, die sich für mehr Diversität engagieren, wissen wir, dass viele Journalist*innen, die vom weißen, männlichen, heterosexuellen und bildungsbürgerlichen Durchschnitt abweichen, diskriminierende Erfahrungen machen.

Keine Einzelfälle

Eine Mitgliederumfrage der Neuen deutschen Medienmacher*innen zeigte zum Beispiel: Vielen Journalist*innen wird aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Herkunft die journalistische Objektivität abgesprochen, sie müssen sich abwertende Bemerkungen aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Sexualität anhören. Manche werden auch wegen ihres Namens oder Akzents zur Zielscheibe von Spott. Oder sie treffen auf Kolleg*innen, die meinen, sie hätten ihren Job nur durch eine angebliche „Migrantenquote” bekommen.

Ich habe vor allem nach guten und qualifizierten Leuten geschaut, die auch eine originelle, interessante oder abweichende Biografie hatten. Dabei habe ich aber festgestellt: Wenn nur einer oder eine mit einer abweichenden Biografie da ist, dann muss sie die ganzen Fremdheitsreibungen alleine auffangen. Man könnte auch sagen: Je mehr Verschiedene da sind, desto schöner ist Verschiedenheit.
Bernd Ulrich, Stellvertretender Chefredakteur DIE ZEIT

Redaktionen sind keine diskriminierungsfreien Räume

Die Umfrage ergab auch: Aus dem Kreis der Kolleg*innen schreitet oft niemand ein, selbst Vorgesetzte intervenieren nur selten. Im Gegenteil: Viele Verantwortliche in Medienhäusern weisen das entschieden von sich: „Diskriminierung? Haben wir nicht.“ Und viele Betroffene schweigen: Aus Scham und Schuldgefühlen oder aus Angst, keine Aufträge mehr zu bekommen, wenn sie sich wehren.

Umso wichtiger ist es, dass alle sich bewusst machen: Redaktionen sind keine diskriminierungsfreien Räume. Warum sollten sie auch? Überall in der Gesellschaft gibt es Klassismus, Sexismus, Rassismus oder Queer- und Behindertenfeindlichkeit. Trotzdem ist es möglich und nötig, ein inklusives, anerkennendes Arbeitsklima in der Redaktion zu schaffen und Mitarbeiter*innen vor Diskriminierung zu schützen. Das passiert allerdings nicht von selbst.

Ich war dann halt Mutter. Das wurde mir ganz klar gespiegelt. Und man hat dann auch immer so getan, als würde man was Gutes tun und sagen: Ja, kümmern Sie sich erst einmal um Ihr Kind. Es war aber nicht das, was ich wollte. Mein Kind wurde ja gut betreut durch meinen Mann und die Tagesmutter in der Zeit, in der ich nicht da war. Wir hatten das doch alles gut organisiert. (...) Vornherum taten sie so, als ob sie sich um mich kümmern. Aber hintenrum hatte ich das Gefühl, sie vertrauen mir nicht mehr als fähige Journalistin.
Redakteurin einer Regionalzeitung aus ProQuote Medien Regionalzeitungsstudie, 2021

Hilfe bei Diskriminierung in Redaktionen

von NdM & advd

Infos und Unterstützung für Betroffene bieten die NdM in Zusammenarbeit mit dem Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) in der Broschüre „Was Du über Diskriminierung in Redaktionen wissen solltest“ sowie online unter: www.neuemedienmacher.de/diskriminierung/

Anleitung für eine inklusive Redaktionskultur

Natürlich wird in den wenigsten Redaktionen ganz bewusst diskriminiert. Und dennoch treten Rassismus, Sexismus oder Diskriminierung aufgrund von Behinderung, Alter oder sexueller Identität in vielen Verlagen und Sendern auf. Es ist wichtig, diese Diskriminierungen als strukturelle Probleme unserer Gesellschaft anzuerkennen. Erst dann können wir sie im Arbeitsalltag angehen. Schritt für Schritt.

Klarheit schaffen

Leiter*innen in Ressort, Redaktion und Verlag müssen deutlich machen, dass ihnen ein diskriminierungsfreies Arbeitsklima wichtig ist. Das sollte so transparent wie möglich und so häufig wie nötig geschehen: als wichtiges Thema bei Vorstellungsgesprächen, auf Betriebsversammlungen, in Redaktionskonferenzen – besonders wenn rassistische, sexistische oder andere diskriminierende Bemerkungen im Redaktionsalltag fallen – nach innen, durch sichtbare Aushänge im Gebäude und nach außen zum Beispiel durch eine Diversity-Erklärung auf der Homepage.

Alle gleich behandeln

Kolleg*innen mit Diskriminierungserfahrungen sollten nicht erst einfordern müssen, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse respektiert werden. Auf sie sollte genauso selbstverständlich Rücksicht genommen werden wie auf die der restlichen Belegschaft auch. Das beginnt beim gegenderten Arbeitsvertrag, reicht über koschere Essensangebote in der Cafeteria bis zur Einrichtung geschlechtsneutraler Toiletten und barrierefreier Redaktionsräume.

Räume bieten

Ob aus Zeitdruck, Scham oder Angst vor negativen Reaktionen: Für Menschen, die von Diskriminierung betroffenen sind, ist es häufig schwer, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Aber auch Redakteur*innen, die nicht unmittelbar betroffen sind, sollten die Möglichkeit haben, Unsicherheit anzusprechen und sich über das Thema auszutauschen. Entweder mit einer*einem Antidiskriminierungsbeauftragten oder in einer internen Gruppe von Kolleg*innen mit Diskriminierungserfahrungen im Haus. Auch die klare Ansage, sich bei Problemen oder Unsicherheiten an Vorgesetzte wenden zu können, ist wichtig.

Beschwerdestellen einrichten

Nicht immer eignen sich Vorgesetzte oder Kolleg*innen als Ansprechpartner*innen – erst recht nicht, wenn von ihnen selbst Diskriminierung ausgeht. Anstatt –  oder zusätzlich zu –  Antidiskriminierungsbeauftragten kann deshalb auch eine unabhängige Beschwerdestelle eingerichtet werden. Ein Konzept hierfür hat die „Antidiskriminierungsstelle des Bundes“ erstellt. Einen kurzen Erklärfilm und eine Broschüre gibt es von „ADA – Antidiskriminierung in der Arbeitswelt“.

Fortbildungen

Ein respektvoller und sensibler Umgang miteinander kann erlernt werden. Einzelne Medien wie die taz haben für ihre gesamte Belegschaft bereits Anti-Bias-Trainings angeboten. Die führen natürlich nicht automatisch dazu, sämtliche Probleme zu lösen, sind aber besonders zur Sensibilisierung der Chefetage wichtig.

Empowerment

Betroffenen hilft es, sich mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, auszutauschen. Entscheider*innen sollten es deshalb unterstützen, wenn Kolleg*innen, die Diskriminierungserfahrungen haben, sich formell oder informell zusammenfinden wollen. In einem Arbeitskreis „LSBTIQ* im Verlag XY“ oder „BPoC im Radio ABC” können Menschen über Erfahrungen sprechen, Forderungen formulieren und sie – ohne sie zu personalisieren – gemeinsam an die Redaktionsleitung weitergeben.

In einigen Verlagen wie Axel Springer gibt es so etwas auch schon und bei der dpa gibt es eine Gruppen von PoC, die sich regelmäßig trifft. Mit dem Ziel, Vielfalt in den Programminhalten und in der Belegschaft zu leben und widerspiegeln, gründete sich 2018 beim Bayerischen Rundfunk der „Buntfunk“. Das Netzwerk ist offen für alle, die sich als schwul, lesbisch, bi, trans*, inter, queer oder straight Ally identifizieren und „queer@wdr“, ein Netzwerk von WDR-Mitarbeiter*innen, hatte beim CSD in Köln 2019 sogar einen eigenen Wagen.

Vielfältiger werden

Austausch funktioniert natürlich nur, wenn es andere Menschen in der Redaktion gibt, mit denen man sich austauschen kann. Es kann sehr anstrengend sein, die einzige Redakteur*in mit Behinderung oder Einwanderungsgeschichte im Newsroom zu sein. Redaktionen, die bewusst vielfältig besetzt werden, sind der beste Schutz vor Diskriminierung.

Diversity-Management

Um eine Redaktionskultur zu schaffen, in der sich alle wohl fühlen, braucht es eine Organisationsentwicklung, die Diversity auf allen Ebenen von Verlag und Redaktion verankert. Dies zu erreichen ist ein langwieriger und aufwändiger Prozess. Anregungen für eine Diversity-Strategie, die das ganze Unternehmen in den Blick nimmt, finden Sie hier.

Welche Gesetze schützen vor Diskriminierung?

Seit dem 18. August 2006 gilt in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), auch Antidiskriminierungsgesetz genannt. Es regelt den Schutz vor Diskriminierung aus rassistischen Motiven oder wegen der „ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ im Arbeits- und Zivilrecht, also am Arbeitsplatz und im alltäglichen Leben, etwa bei der Wohnungssuche, beim Einkaufen oder bei Dienstleistungen. Es verpflichtet außerdem alle Arbeitgeber*innen, eine Beschwerdestelle für die oben genannten Merkmale einzurichten – wie dies genau geschieht, ist ihnen aber selbst überlassen.

How to be an Ally: So werden aus Kolleg*innen Verbündete

Welcher Umgang in einer Redaktion gepflegt wird, entscheidet sich zwar vor allem in der Chef*innenetage. Aber die ganze Belegschaft und auch einzelne Kolleg*innen tragen Verantwortung für das Klima am Arbeitsplatz. Insbesondere Mitarbeiter*innen, die nicht von Diskriminierung betroffen sind, sollten sich solidarisch zeigen und dafür einsetzen, dass alle Kolleg*innen ihre Arbeit angstfrei ausüben können.

Alle zu Wort kommen lassen

In vielen Unternehmen hat sich über die Jahrzehnte ein Umgangston etabliert, der von weißen cis Männern geprägt ist. Das benachteiligt diejenigen, die sich weniger laut und dominant verhalten: die Mehrzahl der Frauen und Vertreter*innen anderer benachteiligter Gruppen, aber auch introvertierte Kolleg*innen. Deshalb:

  • Seien Sie höflich und sensibel
  • Vermeiden Sie es, andere zu unterbrechen oder zu übertönen
  • Nutzen Sie Ihre Stimme, um andere zu Wort kommen zu lassen. Zum Beispiel so: „Rüdiger, du hast nun schon viel zum Thema gesagt, mich würde auch interessieren, was Hatice darüber denkt.“

Den Mund aufmachen

Schweigen Sie nicht, wenn Sie rassistisches, sexistisches, queer- oder behindertenfeindliches Verhalten und Äußerungen beobachten und nehmen Sie Betroffene ernst, die Diskriminierungen zur Sprache bringen. Dazu zählen auch vermeintlich „harmlose“ oder „lustige“ Bemerkungen. Ein einfaches „Hey, das ist nicht in Ordnung“ kann häufig schon große Wirkung entfalten.

Als Mentor*in engagieren

Unterstützen Sie Kolleg*innen, die einen anderen Hintergrund haben als Sie selbst. Beispielsweise als Mentor*in. Möglichkeiten gibt es viele:

  • Laden Sie sie zu einem Kaffee ein und finden bei der Gelegenheit heraus, bei welchen Karrierezielen Sie die Person unterstützen können.
  • Weisen Sie Vorgesetzte auf besondere Leistungen, Stärken und Entwicklungspotenziale Ihres*Ihrer Mentee hin.
  • Nutzen Sie ihr Netzwerk, um der Person zu neuen Jobs oder Aufträgen zu verhelfen.

Privilegien nutzen

Kolleg*innen, die einer gesellschaftlich benachteiligten Gruppe angehören, stoßen häufig auf Widerstand, wenn sie sich für mehr Diversität einsetzen. Manchmal kann ein heterosexueller Mann mit derselben Initiative sehr viel mehr erreichen. Deshalb: Nutzen Sie Ihre Privilegien, um sich für die Belange Ihrer Kolleg*innen und für eine gute Redaktionskultur einzusetzen.

Absagen

Nehmen Sie nicht an Veranstaltungen teil, bei denen die Posten der Redner*innen oder Panelist*innen nicht vielfältig besetzt sind. Das können Konferenzen, Vorträge, Podiumsdiskussionen oder Workshops sein. Teilen Sie Veranstalter*innen ihre Entscheidung mit und empfehlen Sie eine*n Kolleg*in, die*der die Veranstaltung vielfältiger macht.

Für Vielfalt einsetzen

Setzen Sie sich dafür ein, dass Ihr Arbeitsplatz diverser wird. Möglichkeiten dazu gibt es viele:

  • Verbreiten Sie Stellenausschreibungen dort, wo potenzielle Bewerber*innen sich bewegen. Das können queere Facebook-Gruppen, Frauen-Stammtische oder (post-)migrantische Vereine sein.
  • Recherchieren Sie, wer in Ihrer Region Beratung für Diversity-Strategien oder die entsprechende Organisationsentwicklung anbietet, und schlagen Sie Ihren Vorgesetzten vor, sich um die Organisation zu kümmern.
  • Laden Sie Interessenvertreter*innen von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen zu sich in die Redaktion ein – zum Beispiel für eine Blattkritik.

Dazulernen

Das waren nur einige Vorschläge. Im Netz gibt es unzählige weitere Tipps, Ideen und Beispiele, wie Sie persönlich Diversität fördern und die Redaktionskultur verbessern können. Weitere Anregungen finden Sie zum Beispiel im Artikel „Wie du in deiner Redaktion zur*zum Verbündeten wirst“ von Emma Carew Grovum auf der Website der Neuen deutschen Medienmacher*innen.

Gastbeitrag: Machtmissbrauch im Journalismus

Die größte Geschichte beginnt bei einem selbst

von Eva Hoffmann und Pascale Müller

Am 17. Oktober 2021 veröffentlicht die New York Times einen Artikel, der Machtmissbrauch und toxisches Führungsklima bei der BILD beschreibt. Mehrere Quellen geben darin an, mit Chefredakteur Julian Reichelt ein sexuelles Verhältnis gehabt und dadurch bessere Jobs bekommen zu haben. Aber auch unter Druck gesetzt und überfordert gewesen zu sein. Der Artikel nimmt auch Bezug auf eine Recherche der Journalistin Juliane Löffler zu den Vorwürfen gegen Reichelt, die im eigenen Verlag mit ihrer Redaktion Ippen Investigativ vor Veröffentlichung unter Beschuss geriet.   

Zwei Tage später muss der damalige Chefredakteur der BILD gehen. Der Skandal liefert den Stoff für die ganz große Mediengeschichte. Es ist ein Sturm. Wer daneben steht, kommt vielleicht zu dem Schluss: Das ganze Ausmaß von Sexismus und Machtmissbrauch in deutschen Redaktionen liegt nun offen. Aber der Fall Julian Reichelt ist symptomatisch für ein viel tiefer liegendes Problem.

Damit der Skandal öffentlich wurde, musste vieles zusammenkommen

Bei der Recherche zu den Vorwürfen gegen den ehemaligen BILD-Chefredakteur kam vieles zusammen, was eine Veröffentlichung begünstigt hat: Quellen, die bereit waren, ihre Erfahrungen zu schildern. Eine Reporterin und ihr Team, die hartnäckig dran geblieben sind. Ein äußerst prominenter Beschuldigter. Ein Medienskandal.

Diese Faktoren haben dazu beigetragen, dass die immensen Widerstände, mit denen jede #Metoo-Recherche zu kämpfen hat – Einschüchterung der mutmaßlich Betroffenen, rechtliche Angriffe, Täter-Betroffenen-Umkehr – überwunden wurden. 

In den meisten Recherchen zu diesem Thema liegen die Dinge nicht so. Manche Missstände werden nie öffentlich. Nicht, weil sie nicht da oder weil sie nicht schlimm sind. Sondern, weil Recherchen über die Medienbranche nicht frei von den Machtverhältnissen sind, die sie zum Gegenstand haben.

Schleppnetze voller unveröffentlichter Erfahrungen

Jede Kollegin, die zu diesem Thema recherchiert, hat ein solches Schleppnetz an unveröffentlichten Erfahrungsberichten, das sie hinter sich herzieht. Manchmal sind die Quellen in einer Verfassung, die keine Veröffentlichung zulässt. Manchmal haben sie zu große Angst. Manchmal gibt es rechtliche Bedenken. Manchmal gibt es aber Entscheidungsträger*innen, die keine Kenntnis darüber haben, was Machtmissbrauch und Diskriminierung eigentlich sind und warum es von öffentlicher Relevanz ist, darüber zu berichten. 

So enden diese Schilderungen in einem Notizblock einer Reporterin (es sind fast nur Frauen, die hierzu recherchieren). Dort liegen sie und wir können – weil wir ja nicht darüber schreiben können – auch nicht deutlich machen, dass der deutsche Journalismus ein riesiges, größtenteils unbesprochenes Problem hat.

Sprechen über übergriffiges Verhalten muss Normalität werden

Wenn uns der Weg über die „große Öffentlichkeit“ versperrt ist, bleibt uns aber noch die „kleine Öffentlichkeit“: Wir müssen es als Branche schaffen, dass das gemeinsame Sprechen über übergriffiges Verhalten normalisiert wird. Wir müssen es schaffen, ​​solchem Verhalten vorzubeugen, es zu erkennen und zu sanktionieren.

Was muss sich dafür ändern? Verantwortliche in Verlagen, Sendern und Redaktionen müssen anerkennen, dass Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit und andere Formen der Diskriminierung keine Probleme der anderen sind. Solange sich Redaktionen allerdings vor allem freuen, dass der letzte Skandal die Konkurrenz betroffen hat, ist niemandem geholfen.
 

Toxische Führungskultur gibt es nicht nur bei BILD

In vielen Chefetagen führender Redaktionen scheint das Bewusstsein gegenüber struktureller aber auch aktiver Diskriminierung weiterhin zu fehlen. Das zumindest haben uns zahlreiche Gesprächspartner*innen während einer der Recherche geschildert, die wir im Mai im Medium Magazin veröffentlicht haben.

Es geht nicht nur um den ehemaligen Chefredakteur der BILD. Toxische Führungskultur, die mit Mobbing und Einschüchterung arbeitet, Sexismus und andere Formen der Diskriminerung sind in deutschen Medien weit verbreitet. Das hat unsere Recherche gezeigt. In weniger als einer Woche meldeten sich auf eine Umfrage, die Erfahrungen mit Führungskultur abfragte, 189 Journalist*innen und schilderten ihre Erlebnisse in deutschen Print-, Online-, Hörfunk- und Fernsehredaktionen. 

Es geht um Vorgesetzte, die jüngeren Kolleginnen an den Hintern fassen. Redakteure, die Schwarze Kolleginnen rassistisch beleidigen. Frauen, die wegen Sexismus und Übergriffigkeit den Traum aufgeben, Journalistin zu werden. Die schreiben: „Ich bin leiser geworden, schlage bestimmte Themen nicht mehr vor. Spreche Probleme nicht mehr offen an. Mein Selbstbewusstsein hat stark gelitten. Der Job, der immer mein Traum war, fühlt sich eher wie ein Albtraum an.“ Kaum eine Redaktion ist frei von Problemen.

Der deutsche Journalismus braucht Nachhilfe

Redaktionen, Sender und Verlage müssen dringend Strukturen schaffen, die allen ihren Beschäftigten ein sicheres Arbeitsumfeld bieten. Zum Beispiel…

  • indem sie eine Beschwerdestelle einrichten, die als vertraulich und unabhängig wahrgenommen wird, die allen Mitarbeitenden bekannt und niedrigschwellig zugänglich ist und deren Kontakt statt versteckt auf einer Unterseite im Intranet gut sichtbar auf allen Toiletten hängt. 
  • indem sie es zur Selbstverständlichkeit machen, dass neuen Mitarbeiter*innen bei der Einführung gesagt wird, an wen sie sich wenden können, wenn sie Sexismus, Rassismus oder andere Formen von Diskriminierung erleben.
  • indem sie anonyme Briefkästen einrichten und Beschwerden als wertvolle Möglichkeit gesehen werden, etwas zu verändern. 

Es gibt Trainer*innen für kritisches Weißsein, Anti-Sexismus-Trainer*innen, die Redaktionen, Sender und Verlage engagieren können. Der deutsche Journalismus sollte anerkennen, dass er in diesem Bereich Nachhilfe braucht.

Jede*r muss sich fragen: Tue ich selbst genug?

Und zuletzt sollte sich jede*r befragen: Tue ich selbst genug, damit sich meine Kolleg*innen in meiner Redaktion wohl und sicher fühlen? Bei vielen Situationen, die uns Personen während der Recherche für das Medium Magazin geschildert haben, waren andere mit im Raum. 

Etwa, als ein Redakteur der Lokalzeitung einer Volontärin während einer Geburtstagsfeier an das Gesäß gefasst haben soll. Oder als ein Kamerateam aus dem Aufzug eines öffentlich-rechtlichen Senders austieg, als eine Kollegin dazukam, mit der Bemerkung, man wolle nicht mit einer Lesbe Aufzug fahren. 

Wenn Kolleg*innen bedrängt, belästigt und beleidigt werden, dürfen wir nicht wegschauen. Vor allem Personen, die aufgrund ihrer Position in der Redaktion weniger Sorge vor Konsequenzen haben müssen, sollten sich schützend vor weniger privilegierte Kolleg*innen stellen.

Bei sich selbst anfangen, statt nach dem großen Coup zu jagen

Als Branche müssen wir dieses strukturelle Problem anerkennen. Und anders darüber berichten. In der brancheninternen Berichterstattung sollte es nicht nur darum gehen, den nächsten Julian Reichelt abzusägen, den ganz großen Coup zu landen. 

Das Problem zu individualisieren lenkt von der eigentlichen Herausforderung ab: Wer angemessen über strukurelle Diskriminierung berichten will, muss mitunter bei sich selbst anfangen. Das wäre dann wirklich eine einzigartig große Geschichte.

Pascale Müller ist freie Investigativjournalistin. Sie recherchiert vor allem zu Arbeitsausbeutung und sexualisierter Gewalt. Eva Hoffmann schreibt als freie Journalistin über soziale Ungleichheit, Sexismus und Migration. Beide sind Mitglied des Selbstlaut Kollektiv.

Interview: Antidiskriminierungsverband

„Man lernt, dass die eigene Arbeit weniger wert ist“

Eva Maria Andrades und Daniel Bartel, Geschäftsführer*innen des Antidiskriminierungsverbands Deutschland (advd), sprechen darüber, welche Folgen Diskriminierungen haben können – und wie man sie eigentlich genau definiert.

NdM: Studien aus den USA und Großbritannien haben ergeben, dass gerade in Redaktionen Journalist*innen of Color besonders stark diskriminiert werden. In Deutschland gibt es dazu noch keine Zahlen. Was sind die Folgen, wenn man regelmäßig im Arbeitskontext Diskriminierung erfährt?

Daniel Bartel: Das ist ganz unterschiedlich. Zunächst einmal lösen solche Erfahrungen Stress aus, nicht selten auch Erwartungsstress. Das bedeutet, dass sich Betroffene ständig fragen: „Was könnte passieren?“ Weitere mögliche Folgen können sein, dass Betroffene in Zukunft bestimmte Themen meiden, Diskussionen aus dem Weg gehen oder versuchen, sich an die vermeintliche (und problematische) „Norm“ der Redaktion anzupassen. Zudem werden die Machtverhältnisse im Kontext von Rassismus oder Sexismus zur zusätzlichen Interpretationsfolie.

Wenn ein Artikel oder Beitrag dann nicht genommen wird, fragt man sich: „Lag es am Thema? Oder doch am Rassismus bzw. Sexismus?“

Eva Maria Andrades: Und solche Erlebnisse beeinflussen das Selbstwertgefühl. Man „lernt“, dass die eigene Arbeit weniger wert oder nicht gleich gut ist. Irgendwann hat man das verinnerlicht …
Daniel Bartel: … und zieht sich vielleicht ganz zurück. Gerade im Journalismus, in dem viele Einzelkämpfer*innen unterwegs sind, ist es schwieriger, derartige Muster zu erkennen.

"Diskriminierungen drücken sich in gesellschaftlichen Machtverhältnissen aus"

NdM: Bei vielen Kolleg*innen herrscht auch eine große Unsicherheit, ab wann man überhaupt von einer Diskriminierung sprechen kann. Wie kann man da Klarheit schaffen?

Daniel Bartel: Diskriminierung lässt sich auf drei Ebenen verstehen. Zum einen im Rahmen der juristisch-fachlichen Definition als Ungleich-, Schlechterbehandlung oder Würdeverletzung aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit ohne sachliche Rechtfertigung. Dann als Diskriminierungserfahrung, also das eigene Erleben von Diskriminierung – selbst, wenn es eine Rechtfertigung dafür gibt, bleibt eine solche Erfahrung für die Person, die sie macht, verletzende Realität. Und schließlich drücken sich Diskriminierungen in gesellschaftlichen Machtverhältnissen aus und sind eingelassen in Normalitätsvorstellungen, also beispielsweise wirkungsvolle Vorstellungen davon, welche Herkunft oder welches Geschlecht ein*e Expert*in hat oder welche Stimmen und welche Sprache „seriös“ klingen und ins Radio passen.

Diese drei Ebenen überschneiden sich oft stark, wirken teilweise aber auch als wechselseitiges Korrektiv, etwa wenn deutlich wird, dass Gesetze bestimmte Diskriminierungserfahrungen und Machtverhältnisse gar nicht oder nur ungenügend abbilden und deshalb erweitert werden müssen. Ich denke da beispielsweise an Klassismus oder an Diskriminierung wegen des Körpergewichts.

Eva Maria Andrades: Das Diskriminierungsverständnis des advd geht über das Juristische hinaus – obwohl wir das natürlich in der Beratung berücksichtigen, wenn es etwa um mögliche Instrumente oder Argumente gegenüber der diskriminierenden Stelle oder Person geht.

So schützen Chef*innen ihre Mitarbeiter*innen vor Hassrede

Nicht nur Klischees und Machtverhältnisse innerhalb der Redaktion machen Journalist*innen aus strukturell diskriminierten Gruppen das Leben schwer. Auch im Kontakt mit Internetuser*innen und Leser*innen sind Frauen, Menschen mit Behinderung, Queers, Geflüchtete oder Eingewanderte und ihre Nachkommen in besonderem Maße Feindseligkeiten und Bedrohungen ausgesetzt.

Dabei können natürlich alle Redakteur*innen Ziel von Hate Speech (Hassrede) im Netz werden. Studien und unzählige Berichte von Betroffenen zeigen allerdings: Angriffe richten sich vor allem gegen diejenigen, die bereits gesellschaftlich benachteiligt sind.

Hier sind die Verantwortlichen in den Medienhäusern im besonderen Maße gefordert, ihre Mitarbeiter*innen so gut es geht vor Attacken zu schützen, sie zu unterstützen und ihnen den Rücken freizuhalten.

Was genau als Hassrede gilt, ist nicht einheitlich definiert. Redaktionen können und sollen deshalb eine Definition von Hate Speech festlegen.

Wichtig: Die Entscheidung darüber liegt nicht bei den Hater*innen („Ich bin kein Sexist/Nazi/Rassist, aber ...“), sondern vor allem bei den Betroffenen. Wir schlagen die untenstehende Definition vor, die als Grundlage zur Diskussion in den Redaktionen dienen kann.

Was ist Hate Speech?

Als Hassrede bezeichnen wir sprachliche Handlungen gegen Einzelpersonen oder Gruppen mit dem Ziel, sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer benachteiligten Gruppe abzuwerten oder zu bedrohen. Die Person oder Gruppe muss dafür nicht Teil einer Minderheit sein (Frauen sind zum Beispiel keine Minderheit), andersherum sind Minderheitengruppen nicht automatisch Betroffene. Beispiele für Hassrede sind

  • Sexismus
  • (antimuslimischer, antischwarzer, antiasiatischer, ….) Rassismus
  • Antisemitismus
  • Antiromaismus (Rassismus gegen Sinti*ze und Rom*nja)
  • Klassismus (Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft)
  • Ableismus (Diskriminierung von Menschen mit Behinderung)
  • Queerfeindlichkeit

Tipps und Tools: Helpdesk und Leitfaden zum Umgang mit Hate Speech für Redaktionen

Um Journalist*innen die bestmögliche Strategie gegen Hassrede an die Hand zu geben, haben wir Expert*innen, Journalist*innen, Social-Media-Manager*innen, Aktivist*innen und von Hate Speech betroffene Politiker*innen interviewt. Gemeinsam mit Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen haben wir unsere Ergebnisse diskutiert, um daraus Empfehlungen für die Praxis abzuleiten.

Das Ergebnis sind ein Leitfaden zum Umgang mit Hass im Netz, ein Online-Helpdesk mit vielen praktischen Tipps, den wirkungsvollsten Strategien, rechtlichen Einordnungen und konkreten Fallbeispielen sowie ein Notfall-Ratgeber für Journalist*innen in akuten Bedrohungslagen.

Maßnahmenkatalog: Journalist*innen vor Bedrohungen schützen

Wer ständig Angst vor Beleidigungen und persönlichen Angriffen haben muss, ist eher geneigt, Äußerungen für sich zu behalten. Journalist*innen, deren Aufgabe es ist, über Themen wie Flucht und Migration, Rechtspopulismus und Sexismus zu berichten, laufen besonders Gefahr, Ziel von Anfeindungen zu werden und ihre Berichterstattung bewusst oder unbewusst einzuschränken. Hass im Netz gefährdet deshalb nicht nur die einzelnen Personen, er gefährdet den Journalismus an sich.

Deshalb hat die Journalistin Jana Pareigis (ZDF) gemeinsam mit dem DJU, ver.di, Reporter ohne Grenzen, der Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) und den Neuen deutschen Medienmacher*innen einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, mit dem Medien ihre Mitarbeiter*innen in Bedrohungslagen beschützen können.

  • Eine Ansprechperson für Bedrohungen und Angriffe im Medienunternehmen schaffen, an die sich sowohl Freie als auch Festangestellte wenden können, wenn sie aufgrund ihrer Berichterstattung zum Ziel von rechten, rassistischen, antisemitischen, sexistischen oder anderweitig politisch motivierten Bedrohungen, Angriffen, Doxxing-Kampagnen sowie Gewalttaten geworden sind.

    Die Ansprechperson übernimmt die Funktion einer Clearingstelle: Sie informiert die betroffenen Kolleg*innen über alle rechtlichen, psychologischen und psychosozialen sowie finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten. Und sie erstellt mit Betroffenen und ggf. Polizei, Staatsanwaltschaft oder Beratungsstellen eine Einschätzung ihrer Gefährdung. Die Ansprechperson begleitet und unterstützt die Betroffenen bis ihre Sicherheit wiederhergestellt ist. Es werden alle nötigen Schritte wie die anwaltliche Betreuung, Personenschutz und psychologische Betreuung in die Wege geleitet.
     
  • Folgende Leistungen sollen für betroffene Medienschaffende angeboten werden, wenn es – im Zusammenhang mit einem journalistischen Beitrag für das Medienhaus – eine Bedrohung, Hassnachrichten oder Angriffe gibt:
     
    • Externe psychologische Unterstützung
    • Anwaltliche Unterstützung und Vertretung
    • Kostenübernahme von Personenschutz
    • Hilfe und Kostenübernahme bei etwaigen Wohnungswechseln infolge einer Veröffentlichung der Privatadresse
    • Kostenübernahme, wenn betroffene Medienschaffende zum eigenen Schutz zeitweise mit dem Taxi zur Arbeit fahren müssen
    • Juristische und psychologische Unterstützung auch für die Familien der Betroffenen
    • Regelmäßige Fortbildungen und Workshops zum Umgang mit Hassnachrichten und Bedrohungen in der Redaktion
       
  • Rechtliche Unterstützung bei der Auskunftssperre von Meldeadressen der freien und festangestellten Journalist*innen, Fotograf*innen und Autor*innen nach §51 BMG – u.a. durch das Hausjustitiariat sowie regelmäßige Informationen zu den entsprechenden Möglichkeiten für Freie und Festangestellte.
  • Einrichtung einer*eines zentralen Inhouse-Ansprechpartner*in, an die Freie und Festangestellte die Hassmails senden können, die sie bekommen (Anti-Toxic-Mailadresse). Die dort eingehenden Hassmails werden regelmäßig vom Hausjustitiariat auf ihre strafrechtliche Relevanz überprüft und ggf. bei Strafverfolgungsbehörden zur Anzeige gebracht. Die Inhouse-IT übernimmt die Archivierung und erstellt ggf. statistische Übersichten zu Absender*innen etc. Das dient der Entlastung der Angegriffenen in zweifacher Hinsicht: Sie müssen die Drohungen nicht zu Ende lesen und auf ihren persönlichen Accounts speichern. Zudem werden die Betroffenen durch die rechtliche Prüfung des Hausjustiziariats auf strafrechtlich relevante Drohungen während aller Verfahrensschritte begleitet.
  • Bei Dreharbeiten oder anderen Einsätzen, die eine Gefahr für die Medienschaffenden darstellen könnten, wird die Begleitung durch Sicherheitspersonal von der Redaktion angeboten.
  • Einleiten einer schnellen Sperrung der Hater*innen-Profile und Nutzer*innen in den sozialen Medien.
  • Social Media Watch vor sensiblen und potenziell gefährdeten Veranstaltungen der Medienhäuser. Screening nach Drohungen, Aufrufen zur Gewalt in sozialen Medien und ggf. Security und Einlasskontrollen.
  • Medienhäuser, die sich anschließen und zu den Maßnahmen verpflichten wollen, können sich gern an die Neuen deutschen Medienmacher*innen wenden oder ab 2022 direkt auf der gemeinsamen Website der am Schutzkodex beteiligten Organisationen melden.
Tipps und Tools für mehr Respekt am Arbeitsplatz

NdM-Notfallkit für Journalist*innen in akuter Bedrohungslage

Anonym geäußerter Hass im Netz und menschenfeindliche Parolen können sich schnell zu einer echten Gefahr für Leib und Leben entwickeln. Von ernstzunehmenden, persönlichen Bedrohungen betroffen sind unter anderem Medienmacher*innen, die diskriminierten Gruppen angehören, aber auch alle anderen Journalist*innen, die zu Themen wie Rechtsextremismus arbeiten, von Demonstrationen berichten usw.

Die Broschüre „Leitfaden für bedrohte Journalist*innen in Deutschland“ bietet einen Überblick darüber, was im Notfall zu tun ist, welche Schritte sinnvoll und wichtig sind, wenn man als Medienmacher*in eine konkrete Drohung erhält. Ebenfalls können Medienhäuser hier nachlesen, wie sie akut bedrohte Journalist*innen unterstützen sollten.

Helpdesk gegen Hass

Die bestmögliche Strategie gegen Hassrede für Journalist*innen, Redaktionen und fürs Community-Management haben die Neuen deutschen Medienmacher*innen gemeinsam mit Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen analysiert und aufgearbeitet. Das Ergebnis ist ein Online-Helpdesk mit vielen praktischen Tipps, den wirkungsvollsten Strategien, rechtlichen Einordnungen und konkreten Fallbeispielen zum Umgang mit Hate Speech.

Hilfe bei Diskriminierung in Redaktionen

von NdM & advd

Infos und Unterstützung für Betroffene bieten die NdM in Zusammenarbeit mit dem Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) in der Broschüre „Was Du über Diskriminierung in Redaktionen wissen solltest“ sowie online unter: www.neuemedienmacher.de/diskriminierung/

 

Workshops

Kostenlose Fortbildungen für Medienschaffende bietet unser Projekt NO HATE SPEECH. Haben wir mal keine Zeit, können wir auf unseren Train-the-Trainer-Pool zurückgreifen: Darin finden sich Journalist*innen, die von uns in diesem Themenfeld geschult wurden und lokal gut erreichbar sind. Für weitere Infos schreiben Sie uns gern an.

HateAid hilft

Nur ein bis vier Prozent aller Betroffenen von Hate Speech zeigen die Täter*innen an. Und noch weniger ziehen vor Gericht. Die Gründe: Die Prozesse dauern lange, sind aufwändig und vor allem teuer. Das will HateAid ändern. HateAid unterstützt Angegriffene mit emotional-stabilisierenden Beratungsgesprächen, erstattet Strafanzeigen, hilft bei der Beweissicherung, finanziert Anwält*innen und übernimmt das Prozesskostenrisiko. Im Gegenzug spendet die*der Betroffene ihren*seinen Schadensersatz oder Schmerzensgeld an HateAid zurück und ermöglicht so die Unterstützung weiterer Betroffener.

Selbstfürsorge

Das Dart Center for Journalism and Trauma ist ein Projekt der Columbia Journalism School. Es setzt sich für mehr Verständnis und ein tieferes Bewusstsein für die Auswirkungen von Trauma unter Medienschaffenden ein und begegnet dem Thema Hass im Netz mit einem Appell an Journalist*innen zur Selbstfürsorge. Die Website des Centers bietet viele Informationen und Tipps.

Gastbeitrag: Altersdiskriminierung

Divers heißt alles – nur nicht alt sein

von Silke Burmester

Ich muss Ende 40 gewesen sein, als ich darum bat, dass mein Alter nicht länger in der Autor*innenzeile genannt würde. Die Nachfrage, warum nicht, ging stets mit einem Erstaunen einher. Die Antwort wurde dann mit vollstem Verständnis quittiert. Wäre bekannt, wie alt ich sei, so sagte ich den Redakteur*innen, würde ich für viele Texte nicht mehr gebucht. Vor allem Zeitschriften wollen hip sein. Kauft man sie, soll man sich am Puls der Zeit fühlen. Eine hippe Welt, dargelegt von hippen Schreiber*innen.

Auf die 50 zuzugehen, ist schlicht ein Killer. Man muss nur das Foto der Präsentation der neuen Führungsriege des „Stern“ aus dem Juni 2021 angucken. 27 Personen. Frauen ü50? Maximal zwei. Kolleginnen, die über Jahrzehnte für die sogenannten Frauenzeitschriften gearbeitet haben, finden mit Themen, die sie jetzt interessieren, keinen Anklang mehr. Die Redaktionen wollen andere Geschichten. Sie sollen positiv sein. Rat gebend, helfend.

Kaum noch eine steigt ab 50 auf

Der Umstand, dass Aufstieg und Karriere in der Regel um 40 stattfinden und kaum noch ab 50, trifft alle Geschlechter. Aber es ist davon auszugehen, dass mehr Männer in dem Alter noch befördert werden als Frauen. Es scheint dazu keine Zahlen zu geben. Doch warum sollten die Mechanismen, die Frauen ausklammern, ab 50 nicht mehr gelten? Zumal es Frauen, die „sichtbar“ agieren, besonders hart trifft.

Im Jahr 2012 hat der WDR auf einen Schlag mehrere Frauen vom Schirm genommen, die um die 50 Jahre alt waren. Es war in etwa dieselbe Zeit, in der Thomas Roth Moderator der Tagesthemen wurde. Er war damals fast 62 Jahre alt.

Auch im Sommer 2021 gab es unter dem 62-jährigen WDR-Intendanten Tom Buhrow ähnliche Rausschmisse, man wolle „diverser“ werden. Divers, die neue Zauberformel, heißt alles – LSBTIQ*, Schwarz, blau, gestreift, ein Arm, drei Arme, aber nicht „alt“.

Im Oktober 2020 habe ich zusammen mit anderen Frauen die Onlineplattform www.palais-fluxx.de gestartet, „Leuchten für Fortgeschrittene“. Einstiegsalter: 47 Jahre. Es geht darum, uns und unseren Themen Raum zu geben.

Denn so großartig es ist, dass Diversity jetzt in den Redaktionen angekommen ist, so unglücklich ist es, dass der Wille, Vielfalt abzubilden, beim Thema „Alter“ aufhört. Uns Journalistinnen trifft dieser Umstand zweifach: dadurch, im Beruf kaum noch Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten zu haben und dadurch, dass die Themen, die wir stellvertretend für ältere Frauen erzählen könnten, in den Redaktionen nicht gefragt sind.

Silke Burmester war mehr als 25 Jahre als Journalistin, Kolumnistin, Buchautorin und Dozentin tätig. Jetzt moderiert sie Podien und Veranstaltungen und hat www.palais-fluxx.de, „Leuchten für Fortgeschrittene“ gegründet, eine Onlineplattform für die Sichtbarkeit von Frauen* ab 47.