Schaltete man in den 80ern das Nachrichtenprogramm ein, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass man auf einen weißen, hetereosexuellen, nicht-behinderten Mann trifft. Das hat sich zum Glück geändert. Heute führen immer häufiger Frauen mit Migrationserfahrung durch die Nachrichtensendung, Journalist*innen mit Behinderungen schreiben ihre eigenen Kolumnen und queere Reporter berichten aus aller Welt.
Vielfältiger Nachwuchs ist in vielen Redaktionen gefragt wie nie. Und dennoch ist Medienpersonal mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen in vielen Sendern und Verlagen immer noch deutlich unterrepräsentiert. Hinzu kommt: In einigen Redaktionen scheinen diese Personen vor allem dem Image zu dienen, ihre Themen und Perspektiven sind nicht gefragt.
Gekommen um zu bleiben
Die Folge: Gute Journalist*innen können ihre Qualitäten nicht einbringen, einige ziehen deshalb schnell wieder weiter. Auffällig war jahrelang auch, dass Mitarbeitende mit diversen Hintergründen zu wenig gefördert werden und kaum aufsteigen. Nachhaltige Personalpolitik sieht anders aus.
Einige Vorurteile, mit denen diverses Medienpersonal zu kämpfen hat, haben wir bereits aufgelistet. In diesem Kapitel erklären wir, wie es besser geht.
Journalismus hat sich von einem Beruf entwickelt, der dir geholfen hat, die soziale Leiter hochzusteigen, hin zu einem Beruf für Kinder der akademischen Elite. Alle Nachrichtenredaktionen, die ich kenne, sind sehr homogen. Die einzige Frau, die im dpa-Büro ein Kopftuch trug, war die Putzfrau. Sven Gösmann, Chefredakteur dpa
Checkliste: So finden Redaktionen die besten Talente
Bekenntnis zu Vielfalt
Medienhäuser, die sich mehr Vielfalt in ihrer Redaktion wünschen, sollten das in ihren Ausschreibungen klar kommunizieren. Das Mindeste ist ein Abbinder wie: „Wir freuen uns auf Bewerbungen von Menschen unterschiedlichster Lebensentwürfe und sozialer und kultureller Hintergründe.“ Besser noch: Medien sollten deutlich machen, dass ihnen ein diskriminierungsfreies Klima wichtig ist. Unter „Was wir bieten“ könnte zum Beispiel eine Formulierung stehen wie: „Wir legen Wert auf ein offenes und diskriminierungsfreies Arbeitsklima“.
Je weniger so ein Zusatz nach einer lieblosen Standardformulierung klingt, desto besser. Wichtig sind klare Signale dafür, dass Sie es ernst meinen. Gleiches gilt für die Bebilderung. Wer nur weiße Männer ohne Behinderung abbildet, muss damit rechnen, dass auch nur sie darauf antworten.
Alle Geschlechter ansprechen
Ausschreibungen, die sich nur an „Bewerber“ richten, findet man heute zu Tage zum Glück nur noch selten. Aber immer noch scheint es manche Verantwortliche zu geben, die offenbar nur mit Männern zusammenarbeiten wollen: Das reicht vom fehlenden Sternchen für Bewerber*innen bis hin zu No-Gos wie „...dann sind Sie der richtige Mann für unser Team“.
Auch das obligatorische (m/w/d) ist keine gute Lösung, denn zum einen fühlen sich durch die männlichen Formen, die der Klammer vorausgehen, dann eben doch nicht alle Geschlechter angesprochen. Zum anderen lässt die Formulierung die vierte mögliche Option aus: gar kein Geschlecht anzugeben.
Keine Geschlechter ansprechen
Noch besser als alle Geschlechter anzusprechen, kann es deshalb sein, die Frage des Geschlechts einfach ganz außen vor zu lassen. Statt an ehemalige „Volontäre und Volontärinnen“ kann sich die Ausschreibung an Personen „mit abgeschlossenem Volontariat“ richten. Genauso gut wie „ein*e Redaktionsleiter*in“ ist es, eine kompetente „Redaktionsleitung“ auszuschreiben.
Nur Anforderungen, auf die es wirklich ankommt
Ausschreibungen sollten auf Anforderungen verzichten, die für den Job nicht nötig sind und potenzielle Bewerber*innen ausschließen. Zum Glück erwartet heute kaum noch jemand „Deutsch als Muttersprache“, was jahrelang Menschen ausgeschlossen hat, die perfekt Deutsch sprachen und bloß eingewanderte Eltern hatten. Aber selbst „perfekte Deutschkenntnisse“ sind nicht immer nötig, wie zum Beispiel in der Bildredaktion und bei anderen Jobs im Journalismus.
Auch Formulierungen wie „junges Team“ oder „flexible“ Arbeitszeiten können versteckte Diskriminierungsfallen sein für erfahrene Journalist*innen oder Kolleg*innen mit Kindern. Und braucht es wirklich ein „abgeschlossenes Masterstudium“ für Volos oder können entsprechende Fachkenntnisse und Erfahrungen auf anderem Weg erworben sein?
Anonymisierte Bewerbungsverfahren
Während Bewerbungen ohne Foto und Angaben zu Geburtsort, Alter, Geschlecht und Familienstand in den USA und Großbritannien längst Standard sind, beharren hierzulande immer noch viele Personaler*innen auf diese Informationen. Warum eigentlich, wo doch angeblich nur die Qualifikation der Bewerber*in entscheidet?
Leider haben sich anonymisierte Bewerbungsverfahren bei uns bisher nicht durchgesetzt. Viele Personaler*innen interpretieren das als Generalverdacht in Sachen Diskriminierung und fürchten zudem, die Kontrolle zu verlieren. Aber wir finden, die Sorgen sind unberechtigt und die neuen Bewerbungsverfahren verdienen unbedingt eine Chance. Denn sie bringen große Vorteile:
Sie sorgen proaktiv für Chancengleichheit und motivieren damit neue Bewerber*innengruppen.
Sie erleichtern Personaler*innen die Sichtung der Informationen, denn es antworten nur noch hochmotivierte Menschen mit individuellen Bewerbungstexten auf ihre Fragen im Bewerbungsformular.
Indem Sie vorgeben, welche Informationen und Motivationen Sie abfragen wollen, sorgen Sie für eine leichtere und bessere Vergleichbarkeit.
Es gibt drei Varianten für anonymisierte Bewerbungsverfahren:
Anonymisierte Onlinebewerbungen: In eine vorgefertigte Eingabemaske können Bewerber*innen nur die Informationen eingeben, die wirklich wichtig sind.
Anonymisierte Bewerbungsformulare: Interessierte erhalten das Bewerbungsformular per E-Mail oder Post und schicken es auf selbem Weg zurück. Bevor Entscheider*innen es bekommen, wird einfach die Seite mit den persönlichen Kontaktinformationen entfernt.
Nachträgliche Anonymisierung: Alle personenbezogenen Daten werden von einer Person geschwärzt, bevor sie die*der Entscheider*in vorgelegt bekommt (in der Tat etwas aufwendig).
Detaillierte Informationen zu anonymisierten Bewerbungsverfahren bietet ein Leitfaden der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Keine unrealistischen Erwartungen
Einige Unternehmen neigen dazu, ihre Stellenausschreibungen mit Anforderungen zu überfrachten, wohl wissend, dass es kaum ein*e Bewerber*in gibt, die*der alle erfüllt („eierlegende Wollmilchsau“). Das hat Folgen. Studien zeigen: Frauen bewerben sich häufig nur dann, wenn sie auch wirklich alle Skills mitbringen. Männliche Bewerber haben weniger Hemmungen, sich trotz mangelnder Qualifikation zu bewerben. Wer vielfältigere Bewerber*innen ansprechen will, beschränkt sich besser auf das Wesentliche.
Ob bewusst oder unbewusst: Wir vertrauen am ehesten Menschen, die uns ähneln. Das hat zur Folge, dass ein weißer Chefredakteur aus einem Akademikerhaushalt dazu neigt, einen weißen Mann aus dem Bildungsbürgertum einzustellen. Solch ein „Unconscious Bias“ (verinnerlichtes Vorurteil) ist kaum und nur mit viel Übung zu überwinden. Für mehr Vielfalt in der Redaktion braucht es deshalb klare Regeln, die unbewusste Vorurteile aushebeln und ebenso mehr Vielfalt beim Recruitingpersonal. Hier müssen Kolleg*innen sitzen, die ihre unterschiedlichen Erfahrungen und Fähigkeiten bei der Auswahl von Bewerber*innen mit einbringen.
Leitfaden für Bewerbungsgespräche
Entscheider*innen, die vorher klar und im Detail definieren, was und wen sie wollen, und die Ergebnisse der Bewerbungen im Anschluss damit abgleichen, laufen weniger Gefahr, am Ende doch aufgrund von Vorurteilen zu entscheiden. Denn davon gibt es jede Menge:
Verantwortliche Printredakteur*innen glauben, Journalist*innen mit Migrationshintergrund seien im Rundfunk besser aufgehoben, weil dort mögliche Defizite im Umgang mit der deutschen Sprache nicht so auffallen würden.[1]
Rundfunkredakteur*innen halten Printmedien als Arbeitsort für Journalist*innen mit Einwanderungsgeschichte für sinnvoller, weil sie dort weniger sicht- und hörbar seien.
In allen Redaktionen kann es passieren, dass Vertreter*innen marginalisierter Gruppen unterstellt wird, sie würden womöglich nicht die gleichen Werte teilen oder nicht „neutral berichten“, wegen ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religion (oder der ihrer Eltern) – alles Unterstellungen, mit denen standarddeutsche Bewerber*innen nicht konfrontiert werden.
Wo es um Führungspositionen geht, wird Frauen immer noch weniger Durchsetzungsvermögen und Führungskompetenz unterstellt als Männern.
Medienschaffende mit Behinderung sehen sich mit dem Vorurteil konfrontiert, dass sie kaum leistungsfähig und nicht belastbar seien.
Damit sich gute Journalist*innen unterschiedlichster Hintergründe durchsetzen, braucht es auch gute Entscheider*innen und verbindliche Vorgaben für Bewerbungsgespräche. Sie stellen sicher, dass alle Bewerber*innen wenigstens annähernd dieselbe Chance bekommen, ihre Qualitäten zu präsentieren.
Netzwerke nutzen, um Talente zu finden
Vereine und Initiativen vor Ort können bei der Verbreitung von Stellenausschreibungen helfen. Auch die großen Netzwerke der an diesem Guide beteiligten Organisationen mit tausenden Medienschaffenden und einer Vielzahl an Nachwuchsjournalist*innen ist ein direkter Kanal zu vielfältigem Medienpersonal. Ein anderer Weg kann es sein, dort auszuschreiben, wo die gesuchten Leute zu finden sind: zum Beispiel, indem Stellenanzeigen auch in Szenemagazinen geschaltet werden oder Redaktionen auf Veranstaltungen wie der LSBTIQ*-Karrieremesse Sticks and Stones präsent sind.
Der DJV appelliert an Medienunternehmen, bei der Auswahl ihrer Beschäftigten die gesellschaftliche Vielfalt abzubilden – etwa in Bezug auf Alter, Geschlecht, Ethnizität, soziale Herkunft, sexuelle Orientierung sowie physische und psychische Verfassung. Appell vom Verbandstag des Deutschen Journalistenverbands DJV 5. November 2018
Gastbeitrag: Arbeiterkinder im Journalismus
Nur Wenige schaffen es bis zur Bewerbung
von Christian Baron
Eigentlich hatte ich mit dem Journalismus schon abgeschlossen, bevor es mit ihm losgegangen war. Nach nur einem Jahr an der Universität gestand ich mir ein, dass ich mit den Kommiliton*innen mit dem gleichen Berufsziel nicht mithalten konnte. Es dauerte lange, bis mir klar wurde, dass das nicht nur an persönlichen Defiziten lag, sondern auch strukturelle Ursachen hatte. In meiner Familie bin ich der Erste, der Abitur gemacht und studiert hat.
Wenn Chefredaktionen neue Auszubildende suchen, dann achten sie genau darauf, ob die Bewerber*innen schon in der Jugend bei der Schüler- oder Lokalzeitung mitgearbeitet und das bis ins Erwachsenenalter auch ohne Brüche durchgezogen haben. Wer Journalist*in werden will, muss den Wunsch also schon früh gespürt haben. Wer, wie ich, in einem Elternhaus ohne Bücherwände und Zeitungsabos aufwächst, spürt diesen Drang meist später als Menschen, die spielerisch mit kulturellem Kapital beschenkt wurden.
Die meisten Journalist*innen sind Kinder von Akademikereltern
Schon während des Studiums muss man Beiträge in Medien unterbringen. Wer sich das Studium mit Aushilfsjobs finanzieren muss, weil die Unterstützung der Eltern ausbleibt, wird das kaum über eine Tätigkeit als freie*r Mitarbeiter*in bei einer Zeitung tun können. Dort werden niedrige Honorare gezahlt; der Zeiteinsatz ist hoch. Auch Auslandsaufenthalte sind den Auswahljurys wichtig. Noch wichtiger ist im Bewerbungsprozess die Anzahl der Redaktionspraktika, die unbezahlt sind oder minimal vergütet werden.
Da verwundert es nicht, dass in Deutschland überwiegend jene im Journalismus arbeiten, deren Eltern studiert haben. In ihrer Doktorarbeit „Habitus, Herkunft und Positionierung“ (2012) hat die Sozialwissenschaftlerin Klarissa Lueg die soziale Herkunft der Journalist*innen in Deutschland erforscht. Das Ergebnis: Mehr als zwei Drittel weisen eine privilegierte soziale Herkunft auf und haben Eltern, die als Beamt*innen oder Angestellte mit Hochschulabschluss im gehobenen bis sehr gehobenen Dienst tätig (gewesen) sind.
Der Politikwissenschaftler Peter Ziegler hat 2013 für die Friedrich-Ebert-Stiftung das Selbstverständnis und die Herkunft des journalistischen Nachwuchses untersucht. Seine Studie zu Journalistenschulen kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: „Bei den Berufen der Eltern der Befragten dominiert der Beamte. Der Beruf des Arbeiters kommt bei den Vätern kein einziges Mal, bei den Müttern selten vor.“ Sie gleichen den Jurys, so Ziegler, vor allem in ihrem Habitus: „Souveränes Auftreten, ähnliche Lebensläufe mit frühen journalistischen Ambitionen führen zur gleichen Chemie zwischen Aspirant und Auswahlkommission.“
Um den Zugang zu verbessern, müssen sich die Grenzen der Klassengesellschaft öffnen
Als in mir nach dem Ende des Studiums doch noch einmal der Wunsch aufkam, Journalist zu werden, bewarb ich mich um Volontariate. Ich erhielt nur Absagen. Drei Jahre später, im Jahr 2014, versuchte ich es erneut. Jetzt war ich vorbereitet: Ich hatte alle Studien zum Thema gelesen. Beinahe wahllos schickte ich eine Mappe nach der anderen in die Schreibstuben der Republik. In meinem Motivationsschreiben stellte ich meine soziale Herkunft offensiv heraus. Und: Es funktionierte!
Auf meine 30 Bewerbungen erhielt ich zehn Einladungen und satte fünf Jobangebote. Jedes Mal zeigte sich, dass die Chefredaktionen hofften, ich könne durch meinen ungewöhnlichen Blickwinkel die Qualität der Zeitung steigern. Mir drängte sich der Eindruck auf: Gerne würden viele Redaktionen mehr Arbeiterkinder einstellen; es mangelt einfach an jenen, die den langen Marsch bis zur qualifizierten Bewerbung durchstehen.
Nur Wenige schaffen es bis zur Bewerbung
An diesen Zugangsbarrieren lässt sich nur etwas ändern, wenn sich die Grenzen der Klassengesellschaft öffnen. Fürs Erste wäre schon viel gewonnen, wenn sich die Chefredaktionen von der Fixierung auf das Universitätsdiplom lösen würden. Warum sollte nicht auch Volontär*in werden können, wer eine Berufsausbildung abgeschlossen hat? Kämen außerdem mehr Chefredakteur*innen und Ressortleiter*innen von „ganz unten“, dann ergäbe sich daraus eine andere thematische Schwerpunktsetzung in den Zeitungen und Sendungen.
Es würde nicht mehr, wie bislang, entweder abstrakt nur mittels Zahlen über „die da unten“ berichtet oder aber oft so herablassend, als bestaune man Tiere im Zoo. Im besten Fall würden sich sogar nicht nur mehr Menschen repräsentiert fühlen, sondern die klassischen Medien als „vierte Gewalt im Staat“ auch selbst wieder stärker nutzen.
Christian Baron, geboren 1985 in Kaiserslautern, lebt als freier Autor in Berlin. Er arbeitete mehrere Jahre als Zeitungsredakteur, unter anderem beim „nd“ und beim „Freitag“. 2020 erschien bei Claassen sein literarisches Debüt „Ein Mann seiner Klasse“.
Checkliste: 7 Schritte für mehr Bewerber*innen mit Behinderung
Geben Sie eine konkrete Ansprechperson an, die für Fragen zu Inklusion und Barrierefreiheit zur Verfügung steht.
Machen Sie stets Angaben zur Barrierefreiheit.
Veröffentlichen Sie Ihre Anzeigen auf barrierefreien Plattformen.
Wenden Sie sich an Vermittler*innen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wie zum Beispiel MyAbility
Seien Sie offen! Menschen mit Behinderungen wissen, dass nicht alles perfekt ist.
Fangen Sie einfach an! Schon kleine Verbesserungen helfen. Es muss nicht immer alles gleich perfekt sein.
Beantragen Sie Zuschüsse und Assistenzen. Diese umfassen unter anderem:
Budget für Arbeit oder Ausbildung
Unterstützung und Anleitung (Jobcoaching)
Arbeitsassistenz
Gebärdensprach- oder Schriftdolmetschung
Arbeitsplatzausstattung/technische Hilfen
Weiterbildungen/Qualifizierungen
Umbauten von Gebäuden
Good Practice: Talentsuche für Profis
Medieninhalte müssen sich dort abspielen, wo das Publikum ist. Eine Binsenweisheit, die beim Thema Recruiting aber vielen Medien neu ist: „Es bewirbt sich niemand“, ist die häufigste Antwort, die wir hören, wenn wir Führungskräfte auf die Homogenität ihrer Redaktionen ansprechen. Daran ist nicht alles falsch. Aber richtig ist auch: Das lässt sich ändern. Statt vergeblich auf Bewerbungen zu warten, suchen einige Medien auf neuen Wegen nach diversem Personal, bieten Workshops zur Talententwicklung an oder gehen an Unis und Schulen.
Der Hessische Rundfunk bebilderte eine Annonce für ein Volontariat im Jahr 2020 mit einem afrodeutschen jungen Mann. Der HR hatte mit einer neuen Arbeitsgruppe und Strategie fürs Recruiting sehr großen Erfolg.
Der SWR weist unter seinen Stellenausschreibungen explizit darauf hin, die Vielfalt seiner Belegschaft fördern zu wollen: „Jede Bewerbung ist bei uns willkommen, unabhängig von Geschlecht, kultureller oder sozialer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Alter, sexueller Orientierung oder einer Behinderung.”
„WDR grenzenlos“ unterstützt alle zwei Jahre 13 Nachwuchsjournalist*innen mit familiärer Flucht- oder Migrationsgeschichte beim Einstieg in die Branche. Zum mehrwöchigen Talentprogramm gehört ein Journalismus-Workshop, Sprechtraining und das Entwickeln neuer Formatideen.
Das einjährige Trainee-Programm „PULS Talente Programm 2021” des Bayerischen Rundfunks bietet jedes Jahr fünf Menschen mit interkulturellem und nicht-akademischem Hintergrund Hilfe beim Einstieg in den Beruf.
Das seit Jahren erfolgreiche Mentoringprogramm der Neuen deutschen Medienmacher*innen fördert pro Jahrgang bis zu 50 angehende Journalist*innen und bringt sie mit erfahrenen Mentor*innen zusammen. Etablierte Journalist*innen begleiten ihre Mentees auf dem Weg in die Branche und stehen ihnen unterstützend und beratend zur Seite. Zusätzlich gibt es Seminare, Vernetzung und Empowerment. Fördernde Partner*innen des Programms sind beispielsweise das ZDF, rbb, BR, Deutschlandradio, SWR, Rudolf-Augstein-Stiftung, taz Panter Stiftung, dju, hostwriter und Reporter ohne Grenzen.
Die Sommerakademie des rbb „Vielfalt entdecken“ richtet sich explizit an Jungjournalist*innen mit „interkultureller Sensibilität“.
Das ZDF wünscht sich von Redaktionsvolontär*innen Zusatzqualifikationen wie Auslandsaufenthalte, Zweisprachigkeit oder „vielfältige kulturelle Hintergründe“.
Mit dem Stipendienprogramm „Medienvielfalt, anders! Junge Migrantinnen und Migranten in den Journalismus“ unterstützt die „Heinrich Böll Stiftung“ seit 2008 Nachwuchsjournalist*innen mit Migrationsgeschichte und People of Color während ihres Studiums. Unterstützt werden sie unter anderem vom Tagesspiegel, der taz, dem rbb, der Deutschen Welle, Süddeutsche. de, der Werbeagentur Zum goldenen Hirschen, dem netzwerk recherche e.V. und den Neuen deutschen Medienmacher*innen.
Das Projekt „Journalismus macht Schule“ wurde initiiert von Redakteur*innen der Süddeutschen Zeitung und ist inzwischen weit über Bayern hinaus verbreitet. Das Projekt richtet sich nicht explizit an Menschen mit Migrationshintergrund, geht aber dorthin, wo Vielfalt längst Realität ist: an Schulen. In Workshops erzählen Journalist*innen von ihrem beruflichen Alltag, diskutieren Themen wie Fake News oder Nachrichtenquellen. Das Projekt wird heute von zahlreichen weiteren Medienhäusern wie DIE ZEIT, rbb und VICE Deutschland und natürlich den Neuen deutschen Medienmacher*innen unterstützt. Weitere Medien und Organisationen sind eingeladen, mitzumachen.
Die britische TalentagenturZebedee fördert Menschen, die bisher in Medien ausgegrenzt wurden. Dazu zählen zum Beispiel Menschen mit Behinderung sowie trans* und nicht-binäre Personen.
Gastbeitrag: Vielfalt im Volontariat
Wenn Zugänge verändert werden
von Hadija Haruna-Oelker und Sonja Kirste
Der Hessische Rundfunk verfolgt in seiner aktuellen Strategie neben digitalen Leitlinien das Leitmotiv, die Vielfalt der Menschen in Hessen abzubilden. Für das dortige Volontariat sollten wir deshalb passende angehende Journalist*innen finden.
Wir, das sind neun, fast ausschließlich freie Mitarbeiter*innen, die in unterschiedlichen Bereichen arbeiten und Unterschiedliches mitbringen: weiblich, männlich, jünger, älter, queer und hetero, weiß, Schwarz und PoC, mit und ohne Migrationsgeschichte, journalistische Quereinsteiger*innen, mit fachlichen Skills im Bereich Personalwesen, Journalismus, Diversitätsbewusstsein und Digitalität.
Auf der Suche nach interessanten Menschen
Uns einzusetzen bedeutet für die Geschäftsleitung und den Intendanten, die Verantwortung für den gesamten Auswahlprozess abzugeben und uns als unabhängige Kommission entscheiden zu lassen. Ein Novum.
Schnell wurde klar, dass wir an vielen Stellschrauben würden drehen müssen. Wir formulierten eine direkte und junge Ausschreibung per „Du“. Wir veränderten die Zugangsvoraussetzungen, um andere Lebensläufe als bisher zu honorieren, stellten Fragen zur individuellen Motivation, verabschiedeten uns von der Hürde eines abgeschlossenen Studiums und wollten auch keinen Bonus, der Bewerber*innen mit Migrationsgeschichte oder einer Behinderung automatisch eine Runde weiter bringt.
Unser Ziel war es, interessante Menschen, ihre Gedanken und ihre Potentiale kennenzulernen und über allem stand immer, dass sie dabei als Grundvoraussetzung journalistisches Potenzial für die Ausbildung mitbringen.
Ihr seid eingeladen
Die Ausschreibung verschickten wir über unterschiedliche Verteiler wie die der Neuen deutschen Medienmacher*innen oder Leidmedien. Wir produzierten Videos für Plattformen wie YouTube oder Instagram mit der Botschaft: „Wir suchen die Journalist*innen der Zukunft“ und zeigten mit unterschiedlichen Protagonist*innen aus dem Haus, was wir unter Vielfalt verstehen.
Der Kritik bewusst, dass die wenigsten Redaktionen bei uns schon diese Gesellschaft in ihrer Vielfalt präsentieren oder Diversitätsbewusstsein bereits als erlernbares Handwerk verstanden wird, wollten wir potentiellen Bewerber*innen damit signalisieren: Ihr seid eingeladen.
Es geht so einfach
Im Auswahlverfahren ging es aber nicht nur um die Bewerber*innen, sondern auch um Selbstreflexion. Wir besprachen, welchen Einfluss unbewusstes stereotypes Denken (Bias) auf unsere persönlichen, inneren Entscheidungen als Jury haben kann, einigten uns auf klare Auswahlkriterien und darauf, dass wir bei jeder Einstellung eine einstimmige Entscheidung erzielen wollen.
An den vier Tagen Assessment-Center begegneten wir 36 Menschen (von rund 300 Bewerber*innen) mit den unterschiedlichsten Facetten und Fähigkeiten. Noch nie hatten es so viele Bewerber*innen mit nachweislicher Migrationsgeschichte in unser Assessment-Center geschafft wie in diesem Jahr. Deshalb formulierten wir kurz vor der Endauswahl ein Wunschziel.
Mindestens sechs der zwölf Volontär*innen sollten eine Migrationsgeschichte mitbringen. Entscheidend sollte die Qualifikation mit drei wesentlichen Markern sein: journalistisches Potenzial, digitales Mindset und Diversitätsbewusstsein. Schlussendlich haben wir unser Ziel überschritten und es ging so einfach. Im HR volontieren im aktuellen Jahrgang acht junge Journalist*innen mit einer Einwanderungsgeschichte und vier ohne.
Hadija Haruna-Oelker ist freie Redakteurin, Autorin und Moderatorin, Hessischer Rundfunk, Mitglied der Neuen deutschen Medienmacher*innen und bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). Sonja Kirste ist freie Redakteurin beim Hessischen Rundfunk, Aktivistin und Bloggerin für Eltern- und Kinderrechte.
1 Vgl. Pöttker, Horst/ Kiesewetter, Christina/ Lofink, Juliana: Migranten als Journalisten? Eine Studie zu Berufsperspektiven in der Einwanderungsgesellschaft, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2016, S. 64.