Staatliche und staatsnahe Vertreter*innen

Nicht der Staat, sondern Vertreter*innen der Gesellschaft sollen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kontrollieren. Das ist der Grundgedanke von Rundfunkräten. Umso wichtiger ist es, dass die Gremien tatsächlich auch staatsfern organisiert sind und nicht doch nur Landtagsabgeordnete, Regierungsmitarbeitende und Kommunalvertreter*innen das Sagen haben.

Dies hat im Jahr 2014 auch das Bundesverfassungsgericht bekräftigt, als es die Zusammensetzung von Verwaltungs- und Fernsehrat des ZDF angesichts zu vieler staatlicher und staatsnaher Vertreter*innen für grundgesetzwidrig erklärte. Das Urteil der Richter*innen gilt auch für alle anderen öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremien: Staatliche und staatsnahe Personen dürfen höchstens ein Drittel der Mitglieder ausmachen. 

In der Folge haben Gesetzgeber*innen die Zusammensetzung aller Rundfunkräte überarbeitet und die Zahl der staatsnahen Mitglieder in den Gremien gesenkt. Dennoch machen sie auch heute noch die größte Gruppe in allen zwölf Rundfunkräten aus.

Nur der Rundfunkrat der Deutschen Welle liegt über den Vorgaben des Verfassungsgerichts

147 von insgesamt 542 Mitglieder in den von uns untersuchten Gremien lassen sich dem staatlichen oder staatsnahen Bereich zuordnen. Insgesamt bringen sie es damit auf einen Anteil von 27,1 Prozent. Der Durchschnittswert kaschiert allerdings, dass dem Gebot der Staatsferne in verschiedenen Rundfunkräten sehr unterschiedlich Rechnung getragen wird.

So genügt der Rundfunkrat der Deutschen Welle auch acht Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts. Als Auslandssender, der direkt aus Steuergeldern finanziert wird, nimmt die Deutsche Welle zwar einen Sonderstatus unter den Öffentlich-Rechtlichen ein. Dennoch beansprucht auch die Deutsche Welle für sich, staatsfern organisiert zu sein. Was die Zusammensetzung seines Rundfunkrates angeht, wird sie den Anforderungen jedoch nicht gerecht.

Deutschlandradio, ZDF und BR sind gerade so staatsfern wie sie müssen

Alle anderen untersuchten Rundfunkräte genügen hinsichtlich ihrer Zusammensetzung dem Gebot der Staatsferne. Auch wenn sich manche Gremien dabei auf das verfassungsrechtlich absolut Notwendige beschränken: In den Aufsichtsgremien von ZDF und Deutschlandradio besetzen staatsnahe Mitglieder genau jeden dritten Sitz, im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks machen sie 32 Prozent des Gremiums aus. 

Es gibt aber auch Gesetzgeber*innen, die es mit der Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks genauer nehmen. Mit nur 6 von 32 Mitgliedern (18,8 Prozent) landet der HR-Rundfunkrat in Sachen Staatsferne auf Platz eins, gefolgt von den Rundfunkräten von NDR (20,7 Prozent) und Radio Bremen (21,9 Prozent).

Staatsferne ist mehr als die Zahl der Mitglieder

Fragen rund um die Staatsferne von Rundfunkräten gehen aber über die Anzahl der Mitglieder hinaus: Welchen Einfluss haben parteipolitisch geprägte Bündnisse im Gremium? Wie unabhängig sind Verbände wirklich, wenn sie – abseits vom Rundfunkrat – vom Wohlwollen der jeweiligen Regierung abhängig sind? Wie viel informellen Einfluss nehmen Regierungsvertreter*innen auf die Wahl von Intendant*innen? Welches Mitglied hat welches Parteibuch und welche Relevanz hat das für sein Handeln? Was ist mit Mitgliedern, die eben noch als Regierungsbeamt*innen und morgen schon als Vertreter*innen eines Wirtschaftsverbands oder einer anderen gesellschaftlichen Organisation im Gremium sitzen? Diese und weitere Fragen werden kontrovers diskutiert, lassen sich empirisch aber nur schwer eindeutig beantworten.

Die Bedeutung von Freundeskreisen

Eine besonders wichtiger informeller Einflussfaktor hinsichtlich der Staatsferne von Rundfunkräten sind sogenannte Freundeskreise. Diese informellen Zusammenschlüsse haben keine rechtliche Grundlage in Landesgesetzen oder Geschäftsordnungen, üben aber in den meisten Rundfunkräten einen entscheidenden Einfluss auf Arbeitsabläufe und Entscheidungen aus. Freundeskreise gelten als gut funktionierende Instrumente von Parteien und Regierungen, um Macht in Rundfunkräten auszuüben, die über die Stimmen der eigenen Vertreter*innen hinausreicht. Traditionell existieren in den meisten Rundfunkräten ein SPD-naher „roter” und ein CDU-naher „schwarzer” Freundeskreis. In einigen Fällen sind diese auch nach ihren Vorsitzenden benannt: Im ZDF-Fernsehrat gibt es beispielsweise einen Frank-Wernecke- (SPD) und einen Franz-Josef Jung-Freundeskreis (CDU). Darüber hinaus existieren in einigen Gremien auch parteiungebundene „graue” oder „bunte” Freundeskreise.

Machtverschiebung durch Freundeskreise

Freundeskreise treffen sich in aller Regel vor den eigentlichen Sitzungen, informieren ihre Mitglieder über anstehende Themen, aktuelle relevante Ereignisse und Entscheidungen anderer wichtiger öffentlich-rechtlicher Institutionen wie von Verwaltungsräten oder auch von Intendant*innen. In diesen Sitzungen werden Tagesordnungspunkte besprochen und Abstimmungen sowie Wahlen von Intendant*innen und Berufungen von Direktor*innen vorbereitet. 

Die Bedeutung von Freundeskreisen kann kaum unterschätzt werden. Sabine Nehls zufolge beeinflussen sie „ganz erheblich die Besetzung der Ausschüsse und spielen bei der Wahl der Gremienvorsitzenden eine große Rolle”. Und Dieter Stolte, selbst 20 Jahre Intendant des ZDF, spricht von „politischen Strukturen mit großem Einfluss”, deren Vorsitzende für „Fraktionsdisziplin” zu sorgen hätten.

Die von uns interviewten Rundfunkrät*innen kommen zu unterschiedlichen Einschätzungen von Freundeskreisen: Während manche sie als wichtiges und notwendiges Instrument zur Vororganisierung eines ansonsten in Partikularinteressen zerfallenden Gremiums verteidigen, problematisieren andere die mit den Freundeskreisen verbundene Machtverschiebung. Letztere wird vor allem von Rundfunkratsmitgliedern kritisch angesprochen, die sich keinem parteipolitischen Lager zuordnen.

Dominante gesellschaftliche Akteur*innen

In Rundfunkräten sollen „Repräsentanten aller bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Gruppen” vertreten sein. So entschied das Bundesverfassungsgericht, als es im Jahr 1961 in seinem sogenannten „1. Rundfunk-Urteil” den rechtlichen Rahmen für jegliche Art von Rundfunkgesetzgebung absteckte. Bei der Frage, welche gesellschaftlichen Gruppen nun eigentlich „bedeutsam” sind, kamen und kommen Gesetzgeber*innen aber bis heute zu ganz unterschiedlichen Antworten.

Wirtschaft und Gewerkschaft: mehr als jedes fünfte Mitglied

Nimmt man die Anzahl ihrer Vertreter*innen in Rundfunkräten zum Maßstab, müssten Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften die bedeutsamsten gesellschaftlichen Gruppen des Landes sein. Nach staatsnahen Akteur*innen stellen Vertreter*innen von Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innenorganisationen die größte Gruppe in Rundfunkräten. Von 542 Rundfunkratsmitgliedern vertreten 120 einen Unternehmer*innenverband, eine Gewerkschaft oder einen Berufsverband. Damit ist im Durchschnitt mehr als jeder fünfte Sitz (22,2 Prozent) für eine Arbeitgeber*innen- oder Arbeitnehmer*innenvertretung reserviert. 

Die Situation in den einzelnen Rundfunkräten weicht von diesem Durchschnittswert allerdings stark ab: So machen Arbeitgeber*innen- und eine Arbeitnehmer*innenvertreterungen bei der Deutschen Welle (1x Wirtschaft, 1x Gewerkschaft) nur insgesamt 11,8 Prozent und bei Radio Bremen nur 15,6 Prozent der Sitze aus (2x Wirtschaft, 3x Gewerkschaft). Beim HR-Rundfunkrat sind hingegen 25 Prozent (4x Wirtschaft, 4x Gewerkschaft) und beim MDR sogar 28 Prozent (7x Wirtschaft, 7x Gewerkschaft) der Sitze für sie reserviert. 

Fair geht es bei der Verteilung zwischen Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innenvertretungen zu: Insgesamt sitzen 59 Wirtschaftsvertreter*innen 61 Vertreter*innen von Gewerkschaften und Berufsverbänden gegenüber. Auch in den einzelnen Rundfunkräten ist das Verhältnis meist ausgeglichen. Bei den Entsendeorganisationen handelt es sich in den meisten Fällen um die großen, bekannten Organisationen wie die Industrie- und Handelskammern oder ver.di.

Christliche Kirchen und jüdische Gemeinden: mindestens ein Sitz für jeden

Vertreter*innen der beiden großen christlichen Kirchen und von jüdischen Gemeinden gehören traditionell zur festen Besetzung von Rundfunkräten. Sie sind in allen Gremien mit mindestens einem Sitz vertreten. Gemeinsam bringen sie es auf 50 Vertreter*innen und machen 9,2 Prozent aller Rundfunkratsmitglieder aus. Nicht mitgerechnet sind hierbei sechs Vertreter*innen christlicher Wohlfahrtsverbände. 

Unterscheidet man zwischen den Konfessionen und Religionen, kommt man auf 20 evangelische, 18 katholische und zwölf jüdische Vertreter*innen. Besonders stark sind die katholische und evangelische Kirche in den Rundfunkräten von BR, NDR, SR und ZDF vertreten. Hier können sie je zwei Mitglieder entsenden. Mit deutlichem Abstand an der Spitze liegt der Rundfunkrat des SWR, der es auf sieben kirchliche Vertreter*innen bringt. Christliche Freikirchen und orthodoxe Kirchen sind in keinem Rundfunkrat vertreten.

Besonderheiten bei den jüdischen Vertretungen gibt es im Rundfunkrat von Radio Bremen und des RBB. Hier steht jüdischen Gemeinden zwar gesetzlich jeweils ein Sitz zu, aktuell werden diese allerdings nicht wahrgenommen.

Kultur: von einem bis sieben Sitze

Vertreter*innen von Kultureinrichtungen gehören ebenfalls zum festen Ensemble aller Rundfunkräte. Mit 38 von 542 Rundfunkrät*innen machen sie im Durchschnitt sieben Prozent der Mitglieder aus. Die meisten Gremien weichen allerdings deutlich nach oben oder unten von diesem Durchschnitt ab.

So findet sich unter den 50 Mitgliedern des MDR-Rundfunkrats nur ein Kulturvertreter (2,0 Prozent). Im 55-köpfigen WDR-Gremium sind hingegen gleich sieben Sitze (12,7 Prozent) für Kulturinstitutionen reserviert. Typische Entsendeorganisationen sind Landesmusikräte sowie Museums-, Bühnen- und Schriftsteller*innenverbände.

Bildung: keine Studierendenvertretung

Bildungsinstitutionen sind in Rundfunkräten fast durchgehend präsent. Sie bringen es auf insgesamt 28 Mitglieder (5,2 Prozent). An der Spitze liegt hier der HR-Rundfunkrat mit vier solcher Vertreter*innen (12,5 Prozent). Der Rundfunkrat von Radio Bremen ist der einzige ohne Vertretung zum Thema Bildung. 

Bei den Entsendeorganisationen handelt es sich meistens um Institutionen, in denen sich Hochschulrektor*innen, Lehrer*innen, Eltern oder Volkshochschulvertreter*innen organisieren. Entsendeorganisationen von Schüler*innen oder Student*innen gibt es so gut wie gar nicht: Eine Vertretung des Landesschülerbeirats Baden-Württembergs im SWR-Rundfunkrat ist die einzige Ausnahme von dieser Regel.

Familie, Frauen, Jugend und Senioren: nur bei der Deutschen Welle nicht dabei

Organisationen, die sich für die Anliegen von Familien, Frauen, Jugend und Senior*innen engagieren, gehören zur festen Ausstattung fast aller Rundfunkräte. Ihre Vertreter*innen bringen es auf insgesamt 34 Sitze (6,3 Prozent). Nicht mitgerechnet sind hier Frauenorganisationen der evangelischen und katholischen Kirche, die weitere vier Sitze beanspruchen. 

Große Unterschiede gibt es sowohl zwischen den einzelnen Rundfunkräten als auch zwischen den einzelnen Gruppen. So verfügt der Rundfunkrat der Deutschen Welle als einziges Gremium über keine Vertretung für Jugend, Frauen, Senior*innen oder Familie. Der ZDF-Fernsehrat ist der einzige, in dem sich diese vier Gruppen einen Sitz teilen müssen.

In allen übrigen Gremien sind Jugend-Organisationen (meist der jeweilige Landesjugendring) präsent. Frauenorganisationen gibt es ebenso fast überall außer im Hörfunkrat von Deutschlandradio. Senior*innenvertretungen sitzen in den Rundfunkräten von NDR, Radio Bremen, SWR und WDR. Die Rundfunkräte von SWR und WDR sind zudem die einzigen, in denen alle vier Gruppen, also Frauen, Jugend, Familie und Senior*innen mit mindestens je einem Sitz vertreten sind.

Sozialverbände: zwischen Dominanz und Abwesenheit

Sozial- und Wohlfahrtsverbände wie die Diakonie, Caritas und das Deutsche Rote Kreuz finden sich in vielen Rundfunkräten. Ihre Vertreter*innen bringen es insgesamt auf 21 Sitze (3,9 Prozent). Allgemeine und für alle Rundfunkräte gültige Aussagen lassen sich allerdings nicht treffen: So findet sich in den Aufsichtsgremien des BR, der Deutschen Welle und Radio Bremen keine solche Organisation, während beim NDR und ZDF sogar je fünf Vertreter*innen mitbestimmen.

Umwelt: viel beim NDR, gar nicht bei DW und HR

Umweltschutzorganisationen stellen insgesamt 19 Rundfunkratsmitglieder (3,5 Prozent). Meist vertreten sie die Dachverbände von Umwelt- und Naturschutzvereinen des jeweiligen Bundeslandes. Die einzigen Gremien ohne solche Vertreter*innen sind die Rundfunkräte von Deutsche Welle und HR. Den größten Anteil an Umweltorganisationen versammelt aktuell mit weitem Abstand der NDR-Rundfunkrat. Hier finden sich gleich fünf Natur- und Umweltschutzorganisationen mit je einer Vertretung (8,6 Prozent).

Sport: mindestens ein Sitz in jedem Rundfunkrat

Sportverbände sind in allen zwölf untersuchten Rundfunkräten mit je einer oder zwei Personen vertreten, die in fast allen Fällen vom jeweiligen Landessportbund entsandt werden. Insgesamt stellen sie 16 Rundfunkratsmitglieder (3,0 Prozent). Aus der Reihe fällt lediglich der SWR-Rundfunkrat, in dem gleich drei Sportfunktionär*innen sitzen.

Sonstige: Verbraucherzentralen, Vertriebene und DDR-Opfer

Vom ADAC (MDR) bis zum Zivil- und Katastrophenschutz Sachsen (ZDF) finden sich in Rundfunkräten viele weitere einzelne Organisationen, die sich thematisch keiner der oben genannten größeren Gruppen zuordnen lassen. Vergleichsweise stark sind Verbraucherzentralen vertreten, die es auf insgesamt fünf Sitze bringen (Deutschlandradio, NDR, SR, WDR, ZDF). Ebenfalls fünf Personen entsenden der Bund der Vertriebenen und seine Landesverbände (BR, Deutschlandradio, HR, SWR, ZDF). Auch die Vereinigung der Opfer des Stalinismus ist mehrfach anzutreffen und stellt insgesamt vier Mitglieder (Deutschlandradio, MDR, NDR, ZDF).

LSBTIQ* in Rundfunkräten

Queere Menschen waren lange Zeit nicht in Rundfunkräten vertreten. Die Situation hat sich erst seit Kurzem etwas verbessert. Der ZDF-Fernsehrat war im Jahr 2015 das erste Gremium, das eine Vertretung für LSBTIQ* aufnahm. Seitdem folgten der Hörfunkrat des Deutschlandradios sowie die Rundfunkräte von SR, Radio Bremen und WDR diesem Beispiel. Seit Anfang 2022 sind LSBTIQ* auch mit einem Sitz im MDR-Rundfunkrat vertreten.

Bei den Entsendeorganisationen handelt es sich in den meisten Fällen um den jeweiligen Landesverband des „Lesben- und Schwulenverband in Deutschland” (LSVD). Im Rundfunkrat des WDR teilen sich „LAG Lesben NRW” und das „Schwule Netzwerk NRW” einen Sitz.

Forderungen nach einer Aufnahme weiterer queerer Vertretungen existieren bundesweit. Zuletzt forderte der LSVD diese im Rahmen der Novellierung des NDR-Staatsvertrages im Jahr 2021 – allerdings erfolglos. Auch in Berlin und Brandenburg werden seit mehreren Jahren entsprechende Forderungen erhoben. Ob sie im Jahr 2022 von der potenziellen Novellierung des RBB-Staatsvertrages berücksichtigt werden, ist bislang unklar. In Bayern starteten LSBTIQ*-Organisationen, wie der LSVD und Queer Media Society im Jahr 2021 eine Petition für eine eigene Vertretung, die vom Bayerischen Landtag aber abgelehnt wurde.

Menschen mit Einwanderungsgeschichte, Schwarze Menschen und nationale Minderheiten

Eingewanderte und ihre Nachkommen waren über Jahrzehnte gar nicht in Rundfunkräten vertreten. Das änderte sich erst mit der Aufnahme der ersten Vertretung „ausländischer Mitbürger” im WDR-Rundfunkrat im Jahr 1985. Seitdem haben fast alle Gremien nachgezogen. Mit dem Dachverband Sächsischer Migrantenorganisationen wurde zuletzt 2022 im MDR-Rundfunkrat eine solche Institution aufgenommen. Lediglich im Rundfunkrat der Deutschen Welle existiert bis heute keine derartige Vertretung. Zufriedenstellend ist die Repräsentation der großen Gruppe von Eingewanderten, von Schwarzen Menschen oder der nationalen Minderheit der Sinti*zze und Rom*nja aber längst nicht.

Als würde der Vertreter der Milchindustrie für die gesamte Wirtschaft sprechen

Obwohl Menschen mit Migrationsgeschichte in den meisten Gremien mit einem Sitz vertreten werden, sind sie in Vielfalt und Breite doch deutlich unterrepräsentiert. Dies wird deutlich, wenn man auf die zahlenmäßig viel stärker präsenten und in sich differenzierten Entsendeorganisationen aus den Bereichen Gewerkschaft, Wirtschaft oder Kultur blickt. In keinem Rundfunkrat wird die gesamte Wirtschaft beispielsweise durch einen einzelnen Vertreter des Verbandes der Milchindustrie repräsentiert oder der ganze Bereich „Kultur” durch eine Vertreterin des Museumslandesverbandes abgedeckt. Für sämtliche Gruppen, die unsere Einwanderungsgesellschaft repräsentieren, ist das hingegen der Normalfall. 

Organisationen, die einzelne migrantische Gruppen vertreten, finden sich in den Rundfunkräten kaum. Das verwundert, handelt es sich bei Eingewanderten und ihren Nachkommen nicht nur um einen sehr großen (27 Prozent der Bevölkerung), sondern auch um einen sehr diversen Teil der Gesellschaft. Eigene Vertreter*innen zum Beispiel für Russland- oder Türkeideutsche, Eingewanderte aus Osteuropa, Kurd*innen, Jesid*innen, Asiatisch-Deutsche Communities, Geflüchtete, neue deutsche Organisationen oder viele andere gibt es in keinem einzigen Rundfunkrat.

Nur ein eigenständiger Sitz für Rom*nja und Sinti*zze

Staatlich anerkannte nationale Minderheiten in Deutschland sind in den öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremien mit insgesamt vier Sitzen vertreten. So verfügt die Minderheit der Sorb*innen über je einen Sitz in den Rundfunkräten von RBB und MDR. Darüber hinaus gibt es im SWR-Rundfunkrat die einzige eigenständige Vertretung von Rom*nja und Sinti*zze. Diese existiert seit 2014 und wird vom Landesverband Deutscher Sinti und Roma Rheinland-Pfalz entsandt. Im ZDF-Fernsehrat teilen sich Sinti*zze und Rom*nja außerdem mit drei weiteren Gruppen einen Sitz für "Regional- und Minderheitensprachen".

 

 

Diskriminierung nur bei Mehrheitsbevölkerung relevant

Ebenso wenig gibt es Vertreter*innen, die sich explizit den Interessen Schwarzer Menschen und   anderer mit Rassismuserfahrungen widmen. Auch Organisationen die sich ausdrücklich mit Rechtsextremismus oder Nationalsozialismus auseinandersetzen, gibt es bis auf eine Ausnahme keine. Bei dieser handelt es sich um den Verein „Courage - Werkstatt für demokratische Bildungsarbeit”, der aktuell einen der volatilen Sitze im MDR-Rundfunkrat innehat. Ebenfalls im MDR-Rundfunkrat hatte bis 2021 der „Landesverband der Verfolgten des Naziregimes und der Antifaschistinnen und Antifaschisten Sachsen-Anhalt” einen Sitze inne. Aktuell besteht dieser aber nicht mehr. 

Die Abwesenheit solcher Vertreter*innen bedeutet allerdings nicht, dass die Gesetzgeber*innen bei der Auswahl von Entsendeorganisationen generell keine Vereine und Verbände berücksichtigen würden, die sich ihrem Selbstverständnis nach mit Verfolgungs- und Diskriminierungserfahrung beschäftigen. So finden sich in fünf Gremien Vertriebenenverbände, in weiteren vier Rundfunkräten haben Organisationen zur Aufarbeitung von DDR-Unrecht einen Platz. Gruppen, die aktuell von rassistischer Diskriminierung und Marginalisierung betroffen sind, werden hingegen nicht dezidiert bedacht.

Religiöse Minderheiten und Konfessionslose

Religiöse und andere weltanschauliche Minderheiten verfügen in Rundfunkräten nur selten über Sitz und Stimme. Vertretungen beispielsweise für Hinduist*innen, Buddhist*innen und Jesid*innen gibt es in keinem einzigen Rundfunkrat. Forderungen nach einer eigenen Vertretung kamen in der Vergangenheit auch immer wieder auch von Organisationen, die sich für die Interessen konfessionsloser Menschen einsetzen. Den einzigen Sitz dieser Art nimmt aktuell die Humanistische Union (HU) im Rundfunkrat von Radio Bremen ein. Zwischen 2016 und 2021 teilten sich außerdem der Humanistische Verband Deutschlands (HVD), der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und die Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) einen Sitz im WDR-Rundfunkrat. Dieser existiert aktuell nicht mehr.

Muslim*innen erst seit 2014 in Rundfunkräten

Angesichts des hohen Bevölkerungsanteils und der Dauerpräsenz in der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien fällt vor allem die Abwesenheit von Muslim*innen in Rundfunkräten auf. Organisationen, die die Interessen von Muslim*innen vertreten, verfügen lediglich in vier von zwölf Rundfunkräten über einen Sitz. Die Rundfunkräte von SWR und Radio Bremen waren im Jahr 2014 die ersten, die eine*n muslimische*n Vertreter*in aufnahmen. Mit je einem Sitz sind Muslim*innen derzeit außerdem im HR-Rundfunkrat und ZDF-Fernsehrat vertreten. Als einziges Gremium verfügt der Rundfunkrat von Radio Bremen zudem über eine eigene alevitische Vertretung. 

Die Nicht-Berücksichtigung islamischer Organisationen erscheint insbesondere problematisch, als dass sie auch Gremien betrifft, die Bevölkerungen mit hohen muslimischen Anteil repräsentieren. Dazu zählen zum Beispiel die Rundfunkräte von WDR und RBB. In beiden Fällen wurden Forderungen nach Repräsentation in der Vergangenheit von den politisch Verantwortlichen zurückgewiesen. Im Fall des NDR-Rundfunkrates sehen Staatsverträge zwischen der Stadt Hamburg und islamischen Religionsgemeinschaften eigentlich bereits seit 2012 eine muslimische Vertretung vor. Eine entsprechende Änderung des NDR-Staatsvertrages blieb bisher allerdings aus. 

Die Vorgehensweise, um eine für die Vertretung von Muslim*innen zu entsendende Person zu bestimmen, ist in den Gremien unterschiedlich. Während sich im Fall von Radio Bremen und dem SWR mehrere islamische Organisationen untereinander auf eine*n gemeinsame*n Vertreter*in einigen, wechseln sich im HR-Rundfunkrat Ditib, Ahmadiyya und Alevitische Vertretung ab. Die muslimische Vertretung im ZDF-Fernsehrat wird von der Schura Niedersachsen entsandt.

Menschen mit Behinderung

Organisationen, die Menschen mit Behinderung vertreten, bleiben in einigen Rundfunkräten immer noch außen vor. Entsprechende Sitze gibt es in sieben der zwölf Rundfunkräte: BR, MDR, Radio Bremen, SR, SWR, WDR und ZDF. Keine Vertretung von Menschen mit Behinderung findet sich in den Rundfunkräten von Deutschlandradio, Deutsche Welle, HR, NDR und RBB.

Im Rundfunkrat des RBB sitzt zwar aktuell der Vorsitzende des Berliner Behindertenverbandes, er wurde aber von Fraktion der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus entsandt. Im RBB-Staatsvertrag ist keine Vertretung behinderter Menschen vorgesehen. Der Berliner Behindertenverband sieht sich auf diese Weise nicht angemessen vertreten und fordert eine entsprechende gesetzliche Änderung. 

Forderungen nach einer besseren Repräsentation von Menschen mit Behinderung in den Aufsichtsgremien der Öffentlich-Rechtlichen gibt es auch in anderen Bundesländern. Sie werden zum Teil mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Anliegen von Menschen mit Behinderung bereits durch Wohlfahrtsverbände wie Diakonie und Caritas in den Rundfunkräten vertreten werden. Diese Argumentation lehnen viele Vertreter*innen von Menschen mit Behinderung allerdings ab und fordern eigene Sitze für Selbstorganisationen behinderter Menschen.

Geschlechtergerechtigkeit: auf dem Papier vorhanden

Rundfunkräte galten lange Zeit als Altherren-Veranstaltungen. Diese Zeiten sind vorbei – zumindest, was das Geschlecht angeht. Von insgesamt 537 Rundfunkratsmitgliedern[1] sind 302 männlich, 234 weiblich und eine Person nicht-binär. Das ergibt einen Anteil weiblicher und nicht-binärer Mitglieder von 43,8 Prozent. Dabei unterscheiden sich die Gremien in ihrer Zusammensetzung zwar, aber in den meisten Rundfunkräten rangiert der Frauenanteil zwischen 40 und 55 Prozent. Den höchsten Frauenanteil erreicht der WDR-Rundfunkrat (60,0 Prozent). Schlusslicht bilden die Gremien von ZDF (33,3 Prozent), RBB (31,0 Prozent) und MDR (28,0 Prozent).

Gesetze sehen ausgeglichenes Geschlechterverhältnis vor

Hauptgrund für das nahezu ausgeglichene Verhältnis der Geschlechter sind Vorgaben zur Geschlechterparität in den jeweiligen Gesetzen und Staatsverträgen. Da Entsendeorganisationen in den meisten Fällen nur einen Sitz im Gremium besetzen können und deshalb eine paritätische Besetzung pro Organisation nicht möglich ist, sind alle dazu angehalten, Frauen und Männer abwechselnd zu entsenden. Beispielhaft ist diese Formulierung im RBB-Staatsvertrag: „Wird eine andere Person als Nachfolger eines Mitglieds entsandt, muss diese Person eine Frau sein, wenn zuvor ein Mann entsandt war, oder ein Mann sein, wenn zuvor eine Frau entsandt war.”

Männerdominanz trotz Paritätsregelung

Die Regelung führt allerdings nicht zwangsläufig und schon gar nicht kurzfristig zu einem ausgeglichen Geschlechterverhältnis. Schließlich greift sie nur, wenn ein Mitglied aus dem Gremium durch ein neues ersetzt wird. Das heißt: Organisationen können auch über mehrere Amtszeiten von einem Mann vertreten werden, solange es sich dabei stets um denselben Mann handelt. 

Hinzu kommt, dass einige Gesetze große Schlupflöcher lassen. Im Bayerischen Rundfunkgesetz findet sich zwar eine Bestimmung, der zufolge Männer und Frauen abwechselnd zu entsenden sind, ihr folgt allerdings diese Formulierung: „Ist dies auf Grund der Zusammensetzung der entsendungsberechtigten Organisation oder Stelle nicht möglich oder aus sonstigen Gründen nicht sachdienlich, ist gegenüber dem Vorsitzenden des Rundfunkrats bei der Benennung des Mitglieds eine schriftliche Begründung abzugeben.” Mitglieder des BR-Rundfunkrat haben uns bestätigt: In der Praxis reicht bereits ein einfaches, formloses Schreiben, um die Vorgaben zur Geschlechterparität im BR-Rundfunkrat zu umgehen.

Das erklärt, warum es in manchen Gremien trotz Paritätsregelung immer noch einen deutlichen Männerüberschuss gibt. Dieser zeigt sich auch in der Besetzung der Spitzenpositionen der Rundfunkräte: Nur vier von zwölf Gremien haben eine weibliche Vorsitzende (NDR, RBB, SR, ZDF). In den Ausschüssen ist das Bild ähnlich.

Überalterung: Gremien der Ü60-Jährigen

„Das größte Problem ist, dass es bei uns so wenig junge Menschen gibt.” Diesen und ähnliche Sätze haben wir in Gesprächen mit Rundfunkrät*innen immer wieder gehört. Die Zahlen bestätigen diesen Eindruck: Mit einem Durchschnittsalter von 57,8 Jahren ist das typische Mitglied deutlich älter als der Querschnitt der deutschen Bevölkerung mit 44,6 Jahren.[2]

Auf jedes Rundfunkratsmitglied unter 40 Jahren kommen zwei, die über 70 sind

Fast die Hälfte (213) der 450 Rundfunkratsmitglieder, deren Alter wir in Erfahrung bringen konnten, sind 60 Jahre oder älter. 15 Prozent aller Rundfunkrät*innen sind älter als 70 Jahre. Unter ihnen finden sich acht Mitglieder, die 80 Jahre oder älter sind. Damit kommen auf jede Person, die jünger als 40 Jahre ist, durchschnittlich mehr als zwei, die älter als 70 sind. Rundfunkratsmitglieder, die unter 30 Jahre jung sind, gibt es insgesamt nur drei. 

Der hohe Altersdurchschnitt bedeutet auch: In einigen Rundfunkräten findet sich kein einziges Mitglied unter 40 Jahren. Das schließt selbst die offiziellen „Jugend”-Organisationen mit ein, deren Vertreter*innen teils über 50 Jahre alt sind.

Informelle Faktoren für Dominanz und Marginalisierung

Ein Sitz, eine Stimme. So sehen es Gesetze und Staatsverträge für die Arbeit in Rundfunkräten vor. Aber wie in anderen Gremien haben sich auch in Rundfunkräten Regeln, Abläufe und Institutionen etabliert, die – obwohl nirgends festgeschrieben – doch große Auswirkungen auf das Machtverhältnis im Gremium haben. Der mächtigste dieser ungeschriebenen Einflussfaktoren, die Freundeskreise, wurde bereits in Kapitel 2.1 beschrieben. Einige weitere werden im Folgenden kurz skizziert.

Ungleiche Aufwandsentschädigung

Gute Rundfunkarbeit ist zeitintensiv. Zu den regulären Sitzungen (vier bis zehn im Jahr) kommen in einigen Rundfunkräten (MDR, NDR, SWR) noch die regelmäßigen Treffen der Landesgruppen. Jede*r Rundfunkrät*in ist außerdem Mitglied in mindestens einem Ausschuss, die sich ebenso häufig treffen. Ein Mitglied des MDR-Rundfunkrates kommt beispielsweise so auf jährlich 18 bis 34 Sitzungen. Jede einzelne dauert oft mehrere Stunden. Noch mehr Zeit kostet die nötige Vorbereitung auf jede dieser Sitzungen. 

Diese Arbeit leisten Rundfunkrät*innen ehrenamtlich. Neben der Erstattung von Übernachtungs- und Reisekosten erhalten alle Gremienmitglieder für ihre Arbeit lediglich eine Aufwandsentschädigung. Bezüglich der Frage, in welcher Höhe dieser zu entschädigende Aufwand bemessen wird, kommen die Gremien allerdings zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. 

An der Spitze steht der WDR-Rundfunkrat. Einfache Mitglieder erhalten hier eine monatliche Pauschale von 1.000 Euro, stellvertretende Ausschussvorsitzende bekommen 1.300 Euro, stellvertretende Vorsitzende sowie Ausschussvorsitzende jeweils 1.600 Euro und Vorsitzende erhalten 2.800 Euro. Hinzu kommen Sitzungsgelder in Höhe von je 200 Euro für die erste Sitzung sowie die erste Ausschusssitzung des Monats. Für jede weitere Sitzung gibt es 30 Euro.

Von solchen Beträgen können Rundfunkrät*innen in Bremen nur träumen. Mitglieder des Rundfunkrates von Radio Bremen erhalten eine jährliche Pauschale von 264,30 Euro sowie ein Sitzungsgeld von 61,90 Euro. Vorsitzende von Rat und Ausschüssen erhalten zusätzlich einen monatlichen Zuschlag von 132,10 Euro bzw. 99,10 Euro.

Ehrenamtler*innen vs. Funktionär*innen

Aufwandsentschädigungen sind nicht die einzige und für viele Gremienmitglieder nicht einmal die wichtigste Ressource für ihre Gremienarbeit. So können Politiker*innen sowie Vertreter*innen von Kirchen und großen Verbänden ihre ehrenamtliche Rundfunkratsarbeit häufig mit ihrer beruflichen Tätigkeit verbinden und auf zeitliche, finanzielle und personelle Ressourcen ihrer Entsendeorganisation zurückgreifen.Landtagsabgeordnete oder Vertreter*innen großer Wirtschaftsverbände können beispielsweise häufig auf die Unterstützungen einer oder mehrerer Mitarbeiter*innen zählen, die ihnen bei Recherchen, Sitzungsvorbereitungen und Dokumentensichtung zuarbeiten.

Ihnen gegenüber sitzen Vertreter*innen ehrenamtlich organisierter zivilgesellschaftlicher Organisationen, die diese Privilegien nicht haben. Sie haben keine ressourcenstarke Organisation im Rücken und gehen in aller Regel hauptberuflich einer Tätigkeit nach, die nichts mit ihrer Arbeit im Rundfunkrat zu tun hat, so dass sie sämtliche Vorbereitungen für ihr Engagement im Rundfunkrat nach Feierabend stemmen müssen.

Mehrere Rundfunkrät*innen haben uns berichtet, dass eine professionelle Arbeit im Gremium unter diesen Umständen unmöglich ist. Mehr noch: Überhaupt eine Person zu finden, die zu dieser Menge ehrenamtlicher Arbeit bereit ist, stellt für viele kleinere Organisationen ein großes Problem dar. 

In der Folge haben Vertreter*innen ehrenamtlich organisierter zivilgesellschaftlicher Organisationen häufig kaum eine andere Wahl als sich auf die Informationen einzelner ressourcenstarker Mitglieder zu verlassen und sich einem der meist parteipolitisch ausgerichteten „Freundeskreise” anzuschließen. Beides führt zu einer Machtverschiebung im Gremium, die den ohnehin schon geringen Einfluss ehrenamtlich organisierter Organisationen und gesellschaftlich benachteiligter Gruppen zusätzlich schmälert. 

Einerseits profitieren die etablierten Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaft und Kirchen von diesem Ressourcenungleichgewicht. Nutznießer*innen sind aber auch Sender und deren Intendant*innen, die von Personen kontrolliert werden sollen, die gar nicht die Mittel haben, diesem Auftrag gerecht zu werden.

Fehlende Expertise von außen

Eine von vielen Möglichkeiten, fehlendem Wissen zu begegnen, wäre, mehr externe Expertise in das Gremium zu holen. Doch die von uns geführten Gespräche mit Rundfunkrät*innen ergaben, dass Anhörung von Fachleuten, Workshops oder andere Weiterbildungsmaßnahmen in den meisten Gremien mehr die Ausnahme als die Regel sind. Angesichts der Themenvielfalt, mit denen Rundfunkrät*innen konfrontiert werden, erachtete auch die Wissenschaftlerin Sabine Nehls in ihrer Untersuchung 2009 diesen Mangel als bemerkenswert. „Angebote für die Weiterbildung der Gremienmitglieder” seien „sehr reduziert [...] und in keinem Fall strategisch strukturiert oder auf längere Sicht geplant”.[3]

Dieser Mangel an externer Expertise hat nicht nur Folgen für die Arbeit einzelner Mitglieder, sondern auch für die Arbeit des Gremiums als Ganzes. Eine der wichtigsten Aufgabe der Gremien ist beispielsweise die Überprüfung der Einhaltung der Programmgrundsätze. Diese werden in den entsprechenden Gesetzen und Staatsverträgen definiert und umfassen typischerweise die Achtung der Menschenwürde, Meinungs- und Religionsfreiheit, Diskriminierungsfreiheit oder die Gleichstellung der Geschlechter – also Anforderungen, von deren Nichtbeachtung insbesondere benachteiligte gesellschaftliche Gruppen betroffen sind. Um diesem Auftrag gerecht zu werden, ist es hilfreich, Expert*innen und Interessenvertreter*innen dieser Gruppen im Gremium zum Beispiel im Fall problematischer Berichterstattung anzuhören – erst recht, wenn diese nicht selbst im Gremium vertreten sind. In den meisten Rundfunkräten finden solche Anhörungen aber entweder gar nicht oder nur sehr selten statt.

  1. 1 Da aktuell fünf Sitze vakant sind, weicht die Zahl der tatsächlich präsenten Personen hier von der an anderen Stellen genannten Zahl von 542 Mitgliedern ab.
  2. 2 Alle Angaben zur Altersverteilung in diesen und anderen Kapiteln basieren auf der Auswertung von 450 von insgesamt 542 Rundfunkrät*innen. Bei den 92 übrigen konnten wir das Alter leider nicht in Erfahrung bringen. Aus Praktikabilitätsgründen haben wir nur das Geburtsjahr der Rundfunkrät*innen erhoben. Vereinfachend haben wir anschließend angenommen, dass sich die Geburtstage gleichmäßig über das Jahr verteilen. Das heißt: Für den Zeitpunkt des Redaktionsschlusses unserer Untersuchung (31. Juni 2022) sind wir davon ausgegangen, dass die Hälfte der untersuchten Personen bereits in diesem Jahr und die andere Hälfte noch keinen Geburtstag hatte.
  3. 3 Nehls, 2009, S. 226.