Einleitung

Werden Rundfunkräte ihrem Anspruch gerecht?

Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der staatlicher Kontrolle entzogen wird und stattdessen von der „Mitbestimmung der Rundfunkgemeinde” lebt. Mit dieser Vision wandte sich Rundfunkpionier Hans Bredow im Jahr 1947 an die westalliierten Behörden. In seinem „Gutachten zur Neuregelung des Rundfunks” schlug er vor, die Rundfunkanstalten von einem ganz neuen Gremium kontrollieren zu lassen: Ein Gremium, in dem ein „möglichst großer Kreis der Rundfunkteilnehmer durch Spitzenorganisationen […] erfasst wird”. „Auf diese Weise”, so schwärmte Bredow, ließe sich „ein wahrer Volksrundfunk schaffen”.[1]

Bredow hatte Erfolg: 75 Jahre später sind seine Rundfunkräte aus dem System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht mehr wegzudenken. Nur geschwärmt wird heute nicht mehr. Die Kontroll- und Aufsichtsgremien der Öffentlich-Rechtlichen haben inzwischen einen schlechten Ruf: Kritiker*innen gelten sie als Orte der „Hinterzimmerpolitik”, die nur dazu dienen, „Senderpolitik freundlich abzunicken”.  Als „Laienspieler, die den Ränkespielen der Intendanten hilflos ausgeliefert sind”. Als „Kungelrunden, in denen von Staatsferne nicht die Rede sein kann”. Als Relikte vergangener Zeiten, die weite Teil der deutschen Gesellschaft ausschließen.Anlässlich ihres 75. Jubiläums wollten wir es genau wissen: Was ist dran an der Kritik an Rundfunkräten? Werden Rundfunkräte ihrem Anspruch gerecht, der seit Bredow in zahllosen Gesetzestexten, Gutachten und Pressemitteilungen festgehalten wurde: Kontrollgremien zu sein, die alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen mit einbeziehen?

Wer wir sind

Wir – das ist ein Zusammenschluss von Organisationen, die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen: die Neuen Deutschen Medienmacher*innen, Leidmedien (Sozialhelden e. V.), der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), die MaLisa Stiftung, Pro Quote Medien, und die Queer Media Society. Gemeinsam haben wir die zwölf Rundfunkräte und ihre 542 Mitglieder untersucht. Dazu gehören die neun Rundfunkräte der ARD-Rundfunkanstalten (BR, HR, MDR, NDR, Radio Bremen, RBB, SR, SWR, WDR), der Hörfunkrat des Deutschlandradios, der ZDF-Fernsehrat sowie der Rundfunkrat der Deutschen Welle.

Dabei haben wir uns bemüht, möglichst viele Facetten von Dominanz und Marginalisierung zu erfassen und gleichzeitig den bisherigen Diskurs um Diversität in den Aufsichtsgremien abzubilden. Besonderes Augenmerk haben wir auf die Gruppen gelegt, mit denen sich die an dieser Recherche beteiligten Organisationen auch in ihrer sonstigen Arbeit beschäftigen: Frauen, Eingewanderte und ihre Nachkommen sowie Menschen mit Rassismuserfahrungen, LBSTIQ* und Menschen mit Behinderung. Einen genauen Blick haben dabei wir auf Gruppen geworfen, die in den Debatten um mehr Vielfalt in Rundfunkräten bislang bereits eine Rolle spielen. Dazu zählen unter anderem Rom*nja und Sinti*zze sowie Schwarze oder junge Menschen. Wir hoffen, dadurch die Prozesse und Wege nachvollziehbar zu machen, die zu einer Beteiligung und zu einem Sitz in einem der zwölf Aufsichtsgremien führen können und möchten andere benachteiligte Gruppen dazu ermutigen sich hierfür zu engagieren.

542 Personen, 12 Gremien, 1 uneingelöstes Versprechen

Mit der Zusammensetzung des Publikums und der Vielfalt der deutschen Gesellschaft haben die meisten öffentlich-rechtlichen Kontrollgremien bisher tatsächlich wenig zu tun. Politiker*innen, Vertretungen von Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Abgesandte der beiden großen Kirchen dominieren die Gremien. Viele andere Gruppen und insbesondere solche, die in unserer Gesellschaft ohnehin nicht viel zu sagen haben, bleiben auch in den Rundfunkräten ohne Stimme: Menschen mit Behinderung, Eingewanderte und ihre Nachkommen, queere Menschen, Muslim*innen und viele mehr. Sie alle zahlen Rundfunkbeiträge, aber mitbestimmen dürfen sie nicht.

Mehr Bauern und Bäuerinnen als Menschen mit Einwanderungsgeschichte

Hätten Sie beispielsweise gedacht, dass Bauern und Bäuerinnen (weniger als 1 Prozent der Bevölkerung) genauso zahlreich in Rundfunkräten vertreten sind wie Menschen mit Migrationshintergrund (mehr als 27 Prozent der Bevölkerung)? Dass katholische und evangelische Kirchen es in einem einzelnen Rundfunkrat auf mehr Vertreter*innen bringen als Muslim*innen in allen Gremien zusammen? Dass Jäger*innen zahlenmäßig mehr Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausüben als Repräsentant*innen der nationalen Minderheit der Rom*nja und Sinti*zze? Dass in Rundfunkräten mehr Über-80-Jährige sitzen als Unter-30-Jährige?

Rundfunkrat ist nicht gleich Rundfunkrat

Unsere Untersuchung zeigt aber auch: Manches ist in Bewegung, wie zum Beispiel der Frauenanteil. Die Zeiten, in denen nur alte weiße Männer beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk das Sagen hatten, gehören inzwischen der Vergangenheit an. Zumindest was das Geschlecht angeht. Hoffnung machen auch viele der politischen Debatten, die in und um Rundfunkräte geführt werden. Neben einem detaillierten Überblick über die Zusammensetzung jedes einzelnen Rundfunkrates werfen wir deshalb auch einen Blick auf vergangene und zukünftige Reformbestrebungen. Ein Ergebnis schon mal vorab: Rundfunkrat ist nicht gleich Rundfunkrat. Während manche Gremien immer noch in den 50er-Jahren festzustecken scheinen, bemühen sich andere, der wachsenden Vielfalt der deutschen Gesellschaft Rechnung zu tragen.

Was Rundfunkrät*innen und Kritiker*innen zu sagen haben

Nicht jede Frage zu Vielfalt, Repräsentation, Professionalität und Transparenz von Rundfunkräten lässt sich in Zahlen, Prozenten und Grafiken ausdrücken: Wie mächtig sind Loyalitäten und Freundeskreise in den Gremien? Wie fair sind Ressourcen wie Zeit, Geld und Mitarbeiter*innen zwischen den einzelnen Organisationen verteilt? Wie steht es um die Gesprächskultur im Gremium? Um Antworten auf solche Fragen zu erhalten, haben wir zahlreiche Mitglieder von Rundfunkräten und andere Expert*innen interviewt. Auszüge aus einigen dieser Gespräche finden Sie – wo es thematisch passt – über das gesamte PDF verteilt. 

Ein wichtiges Ergebnis, das wir aus diesen Gesprächen und unserer Recherche mitgenommen haben: Mehr Vielfalt in Rundfunkräten zu erreichen ist möglich. Viele Menschen engagieren sich dafür und haben Ideen, wie es besser geht. Am Ende der Untersuchung haben wir deshalb zusammengefasst, was passieren muss, damit Rundfunkräte irgendwann einmal wirklich die ganze „Rundfunkgemeinde” repräsentieren und Menschen beim Stichwort „Rundfunkrat” vielleicht irgendwann wieder wie Hans Bredow vor 75 Jahren ins Schwärmen geraten.

Viel Spaß beim Lesen!

Die wichtigsten Ergebnisse

1. Rundfunkräte sind oft nur so staatsfern wie sie unbedingt müssen

Trotz des Gebots der Staatsferne stellen Landtagsabgeordnete, Regierungsmitglieder und -mitarbeiter*innen sowie Kommunalvertreter*innen nach wie vor in allen Rundfunkräten die größte Gruppe. Bei durchschnittlich mehr als jedem vierten Rundfunkratsmitglied (27,1 Prozent) handelt es sich um eine*n staatliche*n oder staatsnahe*n Akteur*in. Die Aufsichtsgremien von BR, Deutschlandradio und ZDF schöpfen das verfassungsrechtlich zulässige Maximum von einem Drittel staatsnaher Mitglieder voll aus. Der Rundfunkrat der Deutschen Welle liegt mit 41 Prozent sogar darüber.

2. In Rundfunkräten sitzen vor allem etablierte Gruppen

Neben Vertreter*innen aus Politik finden sich in Rundfunkräten vor allem Repräsentant*innen aus Arbeitnehmer*innen- und Arbeitgeber*innenverbänden sowie den beiden staatlichen Kirchen. Zusammen stellen sie über die Hälfte (56 Prozent) der insgesamt 542 Mitglieder. Ihre Dominanz zeigt sich auch an der starken Ausdifferenzierung. Selbst kleinere Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände sind häufig mit eigenen Sitzen vertreten.

3. Rundfunkräte schließen große Teile der Gesellschaft aus

Gesellschaftlich benachteiligte Gruppen werden in Rundfunkräten kaum oder gar nicht repräsentiert. Menschen mit Behinderung sind lediglich in sieben, LSBTIQ*in sechs, Muslim*innen in vier und Rom*nja und Sinti*zze nur in zwei von insgesamt zwölf Gremien vertreten. Für viele weitere Gruppen wie zum Beispiel Schwarze Menschen, Jesid*innen, Kurd*innen, Geflüchtete, Russland- oder Türkeideutsche existieren in keinem Rundfunkrat eigene Sitze. Sie müssen sich im besten Fall gemeinsam einen Sitz für „Migration” oder „Ausländer” teilen.

4. Geschlechtergerechtigkeit gibt es nur mit verbindlichen Regelungen

Mit einem durchschnittlichen Frauenanteil von 44 Prozent herrscht in Rundfunkräten ein einigermaßen ausgeglichenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Grund hierfür sind verbindliche Vorgaben in den jeweiligen Gesetzen und Staatsverträgen. Wo diese fehlen oder Schlupflöcher gelassen wurden, profitieren nach wie vor Männer.

5. Rundfunkräten fehlt es an jungen Perspektiven

Mit einem Durchschnittsalter von 57,8 Jahren sind alle untersuchten Gremien stark überaltert. Fast die Hälfte aller 542 Rundfunkratsmitglieder ist älter als 60 Jahre. Auf jede Person unter 40 kommen durchschnittlich mehr als zwei, die älter sind als 70. Stimmen von Menschen, die jünger sind als 35, fehlen in vielen Gremien komplett.

6. Manche Rundfunkratsmitglieder sind privilegierter als andere

Gute Rundfunkarbeit ist arbeitsintensiv. Ein Pensum von 30 Sitzungen im Jahr oder mehr plus entsprechende Vorbereitungszeit ist keine Seltenheit. Dabei herrscht zwischen den einzelnen Rundfunkrät*innen ein deutliches Ressourcenungleichgewicht. Während Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Kirchen häufig durch eigene Mitarbeiter*innen oder ganze Büros bei der Arbeit unterstützt werden, müssen andere die ehrenamtliche Arbeit im Gremium neben ihrem Hauptjob nach Feierabend schultern. Dies führt zu einer Machtverschiebung im Gremium, die insbesondere Vertreter*innen marginalisierter Gruppen und ehrenamtlicher Organisationen aus der Zivilgesellschaft stark benachteiligt.

7. Rundfunkräten fehlt es an Transparenz und Öffentlichkeit

Viele Rundfunkrät*innen klagen über fehlendes öffentliches Interesse für ihr Engagement. Das liegt auch daran, dass viele Gremien ihre Arbeit kaum oder nur schlecht nach außen kommunizieren. Ebenso mangelt es bei Gesetzesänderungen, die Rundfunkräte betreffen, häufig an Transparenz: Über wichtige Fragen wie die Aufnahme neuer Organisationen, Aufwandsentschädigungen oder Bestimmungen zur Geschlechtergerechtigkeit entscheiden in den meisten Fällen Regierungsbeamt*innen, ohne Einbeziehung der Öffentlichkeit. Die Verabschiedung der Gesetzesvorschläge durch die Parlamente geschieht oft ohne Debatte im Plenum. Beides widerspricht dem demokratischen Anspruch der Gremien und erschwert besonders die Teilhabe gesellschaftlich benachteiligter Gruppen.

8. Rundfunkräte können flexibel sein – sind es aber oft nicht

Die Arbeit in einem Rundfunkrat mit bis 74 Mitgliedern wirkt häufig schwerfällig und wenig ökonomisch. Die Erfahrungen einiger Gremien zeigt aber auch: Repräsentation möglichst vieler gesellschaftlicher Gruppen einerseits und schlanke, effiziente Gremienarbeit andererseits sind gut möglich. In einigen Rundfunkräten wird ein Teil der Plätze nach jeder Amtszeit neu vergeben. Anderswo einigen sich mehrere Organisationen auf eine*n Vertreter*in, wechseln sich nach einer bestimmten Zeit ab oder werden ausgelost.

9. Rundfunkrat ist nicht gleich Rundfunkrat

Einige Gesetzgeber*innen sind in den vergangenen Jahren wichtige Schritte in Richtung Vielfalt und faire Repräsentation gegangen (zum Beispiel Radio Bremen, SWR und ZDF). Anderswo kommen politische Entscheider*innen den Forderungen nach Reformen nicht nach und verharren im Status Quo.

10. Mehr Vielfalt ist möglich

In Rundfunkräten existieren zahlreiche Modelle, mit denen sich unterschiedlichste gesellschaftlichen Gruppen abbilden lassen. Gerechte Repräsentation scheitert in der Regel weder am Platz im Gremium noch am Organisationsgrad der Betroffenen. Sie scheitert am fehlenden politischen Willen.

Methodische Hinweise

Unsere Quellen

Die Arbeit von Rundfunkräten erreicht größtenteils nicht die breite Öffentlichkeit. Zusammenfassende Überblicke über Mitglieder, Arbeitsabläufe und Ergebnisse von Rundfunkräten gibt es kaum. Dasselbe gilt für aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema. Die meisten Informationen für diese Untersuchung haben wir deshalb selbst zusammengetragen: aus öffentlich zugänglichen Quellen wie Geschäftsordnungen, Gesetzen und Staatsverträgen sowie den Websites der Rundfunkanstalten. Im Zweifel haben wir bei den zuständigen Stellen nachgefragt.

Wie Repräsentation gemessen wurde

Die Frage von Repräsentation und Vielfalt wird in dieser Untersuchung vor allem an den Entsendeorganisationen festgemacht. Bei deren Kategorisierungen haben wir uns an Veröffentlichungen zu ähnlichen Themen, relevanten Gesetzestexten und der Auffassung der Rundfunkräte selbst orientiert. Konnte eine Organisation mehreren Kategorien zugeordnet werden, haben wir uns für die entschieden, die für ihre Rolle im Rundfunkrat maßgeblich ist. Der „Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller” erscheint beispielsweise unter „Kultur”, auch wenn dieser bei ver.di organisiert ist und deshalb auch unter „Gewerkschaften” passen würde. Im Zweifelsfall finden Sie Hinweise und Erklärungen in den entsprechenden Fußnoten.

Die Ausnahmen: Frauen* und junge Leute

Die Forderungen nach mehr Geschlechtergerechtigkeit oder mehr jungen Perspektiven in Rundfunkräten zielen in den allermeisten Fällen nicht darauf ab, mehr Frauen- oder Jugendorganisationen in die Rundfunkräte aufzunehmen, sondern drehen sich um die Aufnahme von mehr Frauen* und jungen Mitgliedern. Deshalb haben wir hier ausnahmsweise nicht ausschließlich die Entsendeorganisationen erhoben, sondern auch Alter und Geschlecht der einzelnen Rundfunkratsmitglieder recherchiert. 

Bei der Erfassung der Geschlechter haben wir uns an die Selbstauskünfte der Rundfunkräte und andere öffentlich zugängliche Quellen gehalten. Dabei haben wir alle vier gesetzlich möglichen Geschlechts-Einträge berücksichtigt (männlich, weiblich, divers, offen). 

Die Zuordnung zu einer bestimmten Altersgruppe ist uns nicht immer gelungen. Bei 92 von 542 Rundfunkrät*innen konnten wir das Alter nicht in Erfahrung bringen. Deshalb fehlt an manchen Stellen eine Angabe zur Altersstruktur.

Expert*innen-Interviews

Die Frage von Marginalisierung und Dominanz geht weit über die Präsenz bestimmter Mitglieder im Gremium hinaus. Um auch Einblicke zu informellen Faktoren wie unterschiedliche Zugänge zu Ressourcen, Gesprächskultur oder politische Abhängigkeiten zu gewinnen, haben wir zahlreiche Rundfunkrät*innen, Vertreter*innen marginalisierter Gruppen und andere relevante Akteur*innen befragt. Nicht alle Gesprächspartner*innen wollen ihre Aussagen in der Öffentlichkeit sehen. Auszüge aus Gesprächen, bei denen die Interviewten der Veröffentlichung zustimmten, finden Sie über die ganze Veröffentlichung verteilt.

Weitere Quellen

Für Rundfunkräte relevante politische Debatten und Entscheidungen haben wir aus den Veröffentlichungen der zuständigen politischen Institutionen (Regierungen und Parlamente) sowie aus Medienberichten rekonstruiert. Erwähnenswert ist vor allem das Online-Archiv des Fachportals www.medienkorrespondenz.de. An anderen Stellen haben wir auf Sekundärliteratur und ältere wissenschaftliche Veröffentlichungen zurückgegriffen. 

Besonders hilfreich war hierbei die 2013 von Fritz Wolf im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung verfasste Studie „Im öffentlichen Auftrag. Selbstverständnis der Rundfunkgremien, politische Praxis und Reformvorschläge”, der 2009 von Volker Lilienthal herausgegeben Sammelband „Professionalisierung der Medienpolitik. Neue Aufgaben für Rundfunkräte – Die Gremiendebatte in epd medien” sowie die 2009 veröffentlichte Untersuchung „Mitbestimmte Medienpolitik. Gewerkschaften, Gremien und Governance in Hörfunk und Fernsehen” von Sabine Nehls.

Zur Aktualität

Rundfunkräte sind recht schwerfällige Gremien. Dennoch gibt es auch bei ihnen gelegentlich Bewegung. Je nachdem, wann Sie diese Untersuchung lesen, können einige Angaben bereits überholt sein. Zu personellen Veränderungen kommt es in Rundfunkräten mindestens mit Beginn einer neuen Amtszeit. Diese finden – je nach Gremium – alle vier bis sechs Jahre statt. Dieses Jahr ist dies noch beim Rundfunkrat des SWR (09/2022) der Fall. 

Grundlegendere Änderungen etwa zur Geschlechterparität oder zur Aufnahme neuer Organisationen bedürfen der Änderung von Gesetzen oder Staatsverträgen und finden wesentlich seltener statt. Aktuell wird in Berlin und Brandenburg über einen Reform des RBB-Staatsvertrages diskutiert. Diese würde frühestens mit der Neukonstituierung des RBB-Rundfunkrates im Februar oder März 2023 relevant werden. Angaben zu den jeweiligen Amtsperioden und anstehende Gesetzesänderungen finden sich ebenfalls in den Unterkapiteln zu den einzelnen Rundfunkräten.

Hintergrund: Was für Räte?

  • Rundfunkräte sind die Aufsichts- und Kontrollgremien der öffentlich-rechtlichen Medien. Sie überwachen zum Beispiel die Einhaltung des gesetzlichen Sendeauftrages, genehmigen den Haushalt, legen Richtlinien zur Programmgestaltung fest, bearbeiten Programmbeschwerden und wählen die*den Intendant*in.
     
  • Ihre Mitglieder setzen sich aus Politiker*innen und Vertreter*innen gesellschaftlicher Institutionen aus Wirtschaft, Gewerkschaften, Kultur, Umwelt und vielen anderen Bereichen zusammen.
     
  • Die Rundfunkratsmitglieder sollen einen Querschnitt der Bevölkerung abbilden. Um die Staatsferne zu gewährleisten, dürfen Vertreter*innen von Regierungen, Ländern und Kommunen höchstens ein Drittel der Mitglieder stellen.
     
  • Über Zusammensetzung und Aufgaben der Gremien, entscheiden Gesetzgeber*innen: entweder in Landesgesetzen (BR, HR, Radio Bremen, RBB, SR, WDR), Staatsverträgen zwischen mehreren Ländern (Deutschlandradio, MDR, NDR, SWR, ZDF) oder einem Bundesgesetz (DW).
     
  • Der Rundfunkrat des Deutschlandradios heißt eigentlich „Hörfunkrat”, der des ZDF „Fernsehrat”. Wenn in dieser Untersuchung allgemein von „Rundfunkräten” die Rede ist, sind sie aber immer mitgemeint.
     
  • Neben Rundfunkräten kümmern sich auch noch Verwaltungsräte um die Aufsicht des ÖRR. Deren Mitglieder werden nicht von gesetzlich festgelegten gesellschaftlichen Institutionen entsandt, sondern zum größten Teil von den Rundfunkrät*innen gewählt. Um sie geht es in dieser Untersuchung nicht.
Hintergrund: 75 Jahre Rundfunkräte

Der als „Vater des Rundfunks” bekannte Hans Bredow (1879-1959) hat nicht nur das deutsche Wort „Rundfunk” erfunden, sondern auch die dazugehörigen Anstalten in Deutschland entscheidend geprägt. Als Direktor der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft schlug er 1926 vor, die Rundfunkgesellschaften der Weimarer Republik von einem überparteilichen Gremium aus führenden Vertreter*innen der Verwaltung überwachen zu lassen. Beratende Kulturbeiräte sollten die Einbeziehung des Publikums sicherstellen.

Von den Nationalsozialist*innen entmachtet und ins Gefängnis gesteckt stand Bredow nach dem Krieg unbelastet den alliierten Behörden beim Aufbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Seite. Diese orientierten sich zwar vor allem an der britischen BBC. Was die Aufsichtsgremien der Sender angeht, übernahmen sie aber Bredows Vorschläge.

In einem Schreiben an den Hessischen Rundfunk schlug Bredow im Februar 1946 die Errichtung eines Aufsichtsgremiums vor, das sich aus „Vertretern von Spitzenverbänden und Fachleuten” zusammensetzt. Von „Politikern” schrieb er nichts. Wahrscheinlich tauchte hier zum ersten Mal das Wort „Rundfunkrat” auf. 1947 konkretisierte Bredow seine Idee. In seiner Schrift zur „Neuregelung des Rundfunks” ging er der Frage nach, „in welcher Form die Hörerschaft in die Rundfunkarbeit eingeschaltet werden könnte” und schlug vor, einen „möglichst großen Kreis der Rundfunkteilnehmer durch Spitzenorganisationen” zu erfassen. Mit Erfolg. Wo immer seitdem in Deutschland neue Rundfunkanstalten entstanden, stand ihnen einer von Bredows Rundfunkräten zur Seite.

Die Meinungen gehen auseinander, ob der spätere Vorsitzender des HR-Verwaltungsrates dabei wirklich nur demokratische Kontrolle oder nicht zumindest auch den persönlichen Machterhalt im Sinn hatte. Dieser Zweifel begleitet Rundfunkräte bis heute.

  1. 1 Bredow, Hans: Zur Neuregelung des Rundfunks, in: Sonderschrift des Bredow-Funkarchivs, Wiesbaden, Deutschland, 1952.